Am 05.Juni 2022

EVANGELIUM: JOH 16, 12-15

ukraine sw

Wir feiern Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist, wir können ihn nicht sehen, aber wir können sehen, was er tut, was er bewirkt. Was tut er, der Heilige Geist? „Der Geist der Wahrheit wird euch in die ganze Wahrheit führen.“ Das sagt Jesus im Johannesevangelium. Der Geist führt uns in die ganze Wahrheit des christlichen Glaubens. Wie macht er das?

Wir glauben an Gott. Wir glauben, dass er zu uns spricht, sich uns mitteilt, in seinem Sohn Jesus Christus, verlässlich, endgültig. Wenn wir wissen wollen, wer Gott ist und was er sagt und tut, dann schauen wir auf Jesus Christus. Seine Freunde, seine Jünger damals, sie haben ihn erlebt. Sie haben gehört und gesehen, was er gesagt und getan hat. Sie haben seine Botschaft und sein Beispiel in sich aufgenommen. Die christliche Botschaft, die Wahrheit des christlichen Glaubens, sie ist einer Gemeinschaft von Menschen anvertraut, der Gemeinschaft der Christen, der Kirche. Innerhalb der Kirche kennen wir fünf Orte, an denen wir die Glaubenswahrheit finden können. Der erste Fundort ist die Bibel, die Heilige Schrift. Der zweite Fundort ist die Tradition der Kirche, alles, was die Kirche über die Bibel hinaus sagt, zum Beispiel in den Konzilien oder in den Glaubensbekenntnissen. Der dritte Fundort für die Glaubenswahrheit ist die Theologie als Wissenschaft. Der vierte Fundort ist der Glaubenssinn der Gläubigen; alle Christen haben eine innere Gewissheit, ein intuitives Gespür dafür, was zum christlichen Glauben gehört und was nicht. Vier Fundorte: Bibel, Tradition, Theologie, Glaubenssinn der Gläubigen. Was aber tun, wenn die Aussagen dieser vier Fundorte nicht übereinstimmen oder wenn ganz neue Fragen auftauchen? Wer entscheidet dann? Hier kommt der fünfte Fundort ins Spiel: das kirchliche Lehramt. Es wird ausgeübt von den Bischöfen mit dem Bischof von Rom an ihrer Spitze. Sie entscheiden verlässlich und verbindlich, was christliche Wahrheit ist. Etwas ausführlicher spreche ich heute über den ersten Fundort christlicher Wahrheit: die Bibel. Bert Brecht, Dramatiker und bekennender Kommunist, wurde gefragt, was sein Lieblingsbuch sei. Er antwortete: „Sie werden lachen – die Bibel.“ Die Bibel ist das meistverbreitete Buch. In mehr als 700 Sprachen ist sie vollständig übersetzt. Sie hat unsere Kultur geprägt wie kein anderes Buch. Die Bibel. 1000 Jahre lang haben Menschen aufgeschrieben, was sie mit Gott erlebt haben. Dabei wurden sie vom Heiligen Geist geleitet. Die Bibel ist ein inspiriertes Buch. Sie enthält Gottes Wort in menschlichen Worten, Gedanken und Bildern. In ihr können wir Gott begegnen und seinem Sohn Jesus Christus. Als Student war ich zwölf Tage in Taizé. Das ist ein Dorf in Frankreich. Dort treffen sich junge Leute aus der ganzen Welt. Sie sprechen miteinander. Sie beten. Sie arbeiten. In meiner Gruppe war damals ein junger Mann, 18 Jahre alt. Schon am frühen Morgen lag er wach in seinem Schlafsack und las in einem Buch. Ich fragte ihn, was er da lese. Er antwortete: „Jesus ist mein Freund. Ich möchte ihn immer besser kennen lernen. Deshalb lese ich in jeder freien Minute in meiner Bibel. Ich mache gerade eine Gärtnerlehre; die werde ich mit der Gesellenprüfung abschließen. Dann hole ich das Abitur nach, studiere Theologie und werde Priester.“ „Die Heilige Schrift nicht zu kennen heißt, Christus nicht zu kennen.“ Das sagt der heilige Hieronymus im 5. Jahrhundert. Er hat die Bibel aus dem Hebräischen und Griechischen ins Lateinische übersetzt. Ein Glaubenszeuge unserer Zeit rät uns: „Lies jeden Tag einen Abschnitt der Heiligen Schrift!“ Die Bibel ist der erste Fundort christlicher Wahrheit. Der zweite ist die Tradition der Kirche. Davon wird in der nächsten Predigt die Rede sein.

Pfarrer Dr. Bernhard Lackner