am 10. Mai 2018

Predigt am Pfingstsonntag

Evangelium: Joh 20, 19-23

 

„Ich bin das Licht. Ich leucht euch für mit heilgem Tugendleben.“ So haben wir gesungen. Tugendleben? Tugend - dieses Wort gebrauchen wir eher selten. Doch die Sache, um die es geht, die kennen wir. Wir sind in unserem Handeln geprägt durch Haltungen, Tugenden. Tugenden sind Haltungen. Sie helfen uns, gut zu leben. Wir kennen vier Kardinaltugenden. Kardinaltugend, das Wort kommt vom lateinischen Wort „cardo“. Das heißt übersetzt „Türangel, Dreh- und Angelpunkt“.

Die Kardinaltugenden öffnen uns gleichsam die Tür zum Leben. Wir kennen vier Kardinaltugenden: Die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit und das rechte Maß. Wir finden sie in der Bibel und in der Philosophie. Heute schauen wir uns die dritte Kardinaltugend an, die Tapferkeit. Tapferkeit, was ist das? Neulich fahre ich mit der Straßenbahn in die Stadt. Ich schaue aus dem Fenster. Auf dem zweiten Gleis kommt uns ein Straßenbahnwagen entgegen. Auf dem steht ein Name geschrieben: Sophie Scholl. Genau das ist Tapferkeit. Hans und Sophie Scholl, Geschwister, Studenten in München, Anfang der 1940er Jahre. Es ist Krieg. Die Nationalsozialisten regieren. Die Geschwister Scholl erkennen: Was die Nazis tun, ist ein einziges großes Verbrechen, eine Schande. Das sehen und denken damals viele. Doch was unterscheidet die Geschwister Scholl von den vielen anderen? Sie handeln. Sie treffen sich mit Gleichgesinnten. Sie drucken und verteilen Flugblätter gegen das Nazi-Regime. Genau das ist Tapferkeit. Nicht nur erkennen, was gut und richtig ist, sondern das Richtige tun, mutig, selbstlos, unbeirrt. Die Geschwister Scholl werden verhaftet, verhört, verurteilt, zum Tod. Doch sie bleiben ihrem Weg treu, auch Sophie Scholl. Sie hätte vielleicht die Chance gehabt, lebend davon zu kommen. Sie hätte aussagen können: Die Anderen, die Männer in der Gruppe, das waren die Rädelsführer. Sie selbst war ja nur eine schwache Frau, ein Mädchen, eine Mitläuferin. Diese Aussage hätte Sophie Scholl vermutlich das Leben gerettet. Doch sie entschied sich anders. Sie sagte: Was ich getan habe, das habe ich aus voller Überzeugung getan und ich würde es wieder tun. Tapferkeit – erkennen, was richtig ist und das Richtige tun, mutig, selbstlos, unbeirrt. Diese Kardinaltugend finden auch in der Bibel, heute, an Pfingsten. Die Apostel, die Jünger, sie haben Angst. Kein Wunder, Jesus, ihr Meister, ist ermordet worden von seinen Feinden. Das gleiche könnte auch ihnen passieren. Sie haben Angst. Aus Furcht vor den Juden versammeln sie sich hinter verschlossenen Türen. Da geschieht es. Jesus kommt zu ihnen. Er spricht zu ihnen. Er schenkt ihnen den Heiligen Geist. Heiliger Geist, Begeisterung, Kraft von oben, Mut, Tapferkeit. Von da an ist alles anders. Die Apostel öffnen die Türen. Sie gehen hinaus zu den Menschen. Sie erzählen von Jesus, öffentlich, voller Begeisterung für Jesus und sein Evangelium. Jesus, am Kreuz gestorben, auferweckt von den Toten, er lebt. Tapferkeit - sie ist die dritte der vier Kardinaltugenden, neben der Klugheit, der Gerechtigkeit und dem rechten Maß. Vier Kardinaltugenden. „Ich bin das Licht. Ich leucht euch für mit heilgem Tugendleben.“ Sagt Jesus Christus im Kirchenlied. Er zeigt uns den Weg zu einem guten Leben. Er hilft uns, den Weg zu gehen. Er geht vor.

Pfr. Dr. Bernhard Lackner