Am 23. Oktober 2022

EVANGELIUM: LUKAS 18, 9-14

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Mögen Sie Pharisäer? Eine große Tasse Kaffee mit Zucker gesüßt gekrönt von einer üppigen Sahnehaube. Im Kaffee versteckt. Hochprozentiges. Rum. Mehr als nur ein Gläschen. Das Heißgetränk wird vorzugsweise in Norddeutschland getrunken. Einen Pharisäer gibt es heute im Evangelium. Allerdings nicht zum Trinken.

Wir wollen das Evangelium verstehen. Deshalb stellen wir vier Fragen. Die erste: Was ist damals tatsächlich geschehen? Ein Pharisäer und ein Zöllner gehen zum Beten in den Tempel. Ist das wirklich so passiert, wie es erzählt wird? Eines ist historisch sicher. Jesus beschäftigt sich mit beiden Gruppen. Mit den Pharisäern und mit den Zöllnern. Jesus kümmert sich besonders um Menschen, die an den Rand gedrängt sind. Das sind auch die Zöllner. Sie treiben für die Römer, die verhasste Besatzungsmacht, die Steuern ein. Einen Teil der Steuereinnahmen dürfen sie behalten als Provision. Dafür werden sie von ihren Landsleuten gehasst. Zwei Zöllner kennen wir mit Namen. Zachäus. Jesus ist bei ihm zu Gast. Zachäus wird ein neuer Mensch. Er zahlt ungerechtes Geld zurück. Er hilft den Armen. Matthäus. Jesus ruft ihn von der Zollstätte weg. Matthäus wird einer der Zwölf Apostel. Er schreibt das erste Evangelium im Neuen Testament. So weiß es die Tradition der Kirche. Jetzt kommen wir zu den Pharisäern. Sie sind gescheit und gebildet. Sie kennen die heiligen Schriften, die Gebote und die Verbote der Religion genau. Sie sind fromm. Sie beten viel und sie halten sich an alle Regeln. Deshalb schauen sie auf die anderen herab, wenn die nicht so fromm und so gescheit sind wie sie. Pharisäer gelten als selbstgerecht, arrogant und gnadenlos. Waren sie es wirklich? Im Jahr 70 n. Chr. erobern die Römer Jerusalem. Die Stadt und der Tempel werden zerstört. Die Pharisäer, die Schriftgelehrten, sie bewahren und pflegen die heiligen Schriften und die überlieferten Bräuche bis auf den heutigen Tag. Ihnen ist es zu verdanken, dass es das Judentum und die jüdische Religion überhaupt noch gibt. Es folgt die zweite Frage. Was sagt uns das Evangelium über Jesus, über Gott, über unseren Glauben? Jesus zeigt dem Zöllner: Gott ist für dich da, gerade für dich. Du hast vieles falsch gemacht. Du hast es bereut. Gott verzeiht dir. Du darfst neu anfangen. Ohne Schuldgefühle. Ohne Angst. Gott verzeiht immer und überall. Die dritte Frage: Was sollen wir tun? Sind wir nicht manchmal wie Pharisäer? Selbstgerecht. Arrogant. Gnadenlos? Wir, die wir oft zum Gottesdienst gehen, schauen wir nicht auf andere herab? Weil die selten oder nie in der Kirche sind? Wir nennen sie U-Boot-Christen, weil sie nur einmal im Jahr auftauchen, an Weihnachten. Wir Engagierte in der Gemeinde, schauen wir nicht auf andere herab, weil die nichts tun in der Kirche? Wir nennen sie Karteileichen. Sind wir nicht manchmal wie der Zöllner? Wir machen Fehler, viele Fehler. Wir können nur weiterleben, weil Menschen uns verzeihen und weil Gott uns verzeiht. Schließlich die vierte Frage: Was dürfen wir hoffen? Was wird sein ganz am Ende? Der Zöllner kommt in den Himmel. Er bereut seine Fehler. Gott verzeiht ihm. Er sagt: Komm rein! Alles ist gut. Und der Pharisäer? Auch er bereut seine Fehler. Er braucht dafür etwas länger als der Zöllner. Doch Gott hat auch dafür Verständnis. Er kennt seine Frommen. Gott verzeiht auch ihm. Er sagt: Komm rein! Alles ist gut.

Pfarrer Dr. Bernhard Lackner