Am 01. Januar 2023

zela2022 sw

Jahreslosung: Du bist ein Gott, der mich sieht. Gen. 16, 1-16

Liebe Neujahrsgemeinde, diese Jahreslosung, für sich so als Schlagwort betrachtet, löst bei mir zunächst zwiespältige Gefühle aus. Sie gibt erst mal zu Denken – durchaus mit Stirnrunzeln! Ein erster, eigentlich ganz banaler Gedanke, der mich aber nicht mehr loslässt, seit ich diese Jahreslosung das erste Mal gelesen habe: was würde ein Datenschutzbeauftragter dazu sagen?

Zu einem, der alles sieht, und ich das nicht kontrollieren kann. Ist das gut als Leitspruch oder Losung für ein Jahr? Der Schutz der Daten, das, was man über mich wissen kann, ist mir (den Deutschen) heilig – auf der einen Seite. Gewiss nicht allen, aber es gibt schon eine Grundeinstellung, dass manches andere Personen einfach nichts angeht. Die Kehrseite aber kann sein, dass die Gesellschaft immer weniger aneinander Anteil nimmt. Und andere wiederrum stellen gleichzeitig dann alles ins Netz. Zum anderen fiel mir auch gleich ein Pfarrerwitz ein. Der kann „evangelisch und katholisch“ erzählt werden kann. Die Konfession spielt da keine Rolle. Dieser Witz ist die Antwort auf eine falsche Vorstellung von Gott. Wer von uns hat keine Erfahrung mit der Pädagogik, oder mit dem Satz, gesprochen weniger von den Eltern heute, wohl aber vor zwei Generation von „strengen“ Zeitgenossen.: Pass auf, sei lieb und folge des Erwachsenen, denn der liebe Gott sieht alles! Die Vorstellung von Gott als einem allmächtigen (und strengen) Sittenwächters. Wer mit einen solchen Gottesbild erzogen wurde, dem schließt sich nicht so einfach das Evangelium, die frohe Botschaft dieses alttestamentlichen Wortes auf. Ein Gott, der mich sieht, oder so ansieht, bedrückt und macht Angst. Dieses Bild korrigiert der Witz, den sie nun (endlich) hören dürfen. In einem Pfarrgarten (evangelisch oder katholisch) stand ein schöner Kirschenbaum. Er stand vor dem Fenster des Amtszimmers und wenn der Pfarrer am Schreibtisch saß und bei der Vorbereitung der Predigt seine Gedanken kreisen lies, konnte er im Jahreslauf sehen wie die Blätter austrieben, der Baum zu blühen begann. Er sah wie die Früchte ansetzten und war dann voller Vorfreude auf Kirschen, auf Kirschkuchen und marmelade. Als die Früchte dann reif wurden, fiel ihm eines Morgens auf, dass Früchte fehlten. Und am nächsten Tag wieder. Er kam selber noch nicht zu Ernte – erst übermorgen – und darum befestigte er am Baum ein Schild auf dem stand, sie werden es sich denken können: Der Liebe Gott sieht alles! Am folgenden Morgen fehlten wieder Kirschen, und es hing ein zweites Schild neben dem alten und darauf stand: Aber er petzt nicht. Gut pariert. Gott lässt sich nicht instrumentalisieren! Und doch bleibt dieses Missbehagen. Jemand, der alle und alles sieht, bereitet Unbehagen. Das ist die eine Seite, wenn wir ein falsches Bild von Gott vor Augen haben. Es gibt allerdings auch die andere Seite. Das Buchzeichen, das Sie am Eingang erhalten haben, zielt zunächst in die Richtung: Unzählige Menschen. Zwar verschieden und individuell, aber einzeln kaum wahrnehmbar oder identifizierbar. Die Einzelnen gehen unter in der Masse. Bestenfalls lass sie sich durch ihr Äußeres in verschiedene Farbgruppen einteilen. Nicht gesehen werden, nicht wahrgenommen werden, kann sehr schmerzlich und seelisch zutiefst enttäuschend sein. Übersehen werden tut weh. Es gibt ca. 8 Mrd Menschen auf der Erde. Wir haben es gut. Wir können uns da aus dem Weg gehen. In der Regel haben wir überschaubare Verhältnisse. Aber es gibt Gegenden auf dieser Welt, da geht man als Individuum unter. Man ist nur mehr Teil einer Menge, oder gar einer Masse. Doch es braucht auch gar keine 8 Milliarden Menschen, um übersehen zu werden. da reichen manchmal schon 2 Geschwister. Zumindest wird das von dem dritten Kind in der jeweiligen Situation so gesehen. Oder die Clique in der Schulklasse; die Kaffeerunde im Pausenraum, zu der man nicht gehört. Wie viele Menschen wohl darunter leiden, nicht gesehen, übersehen zu werden? Wir leben davon, dass man uns wahrnimmt und dass andere Menschen Kenntnis von uns haben. Denn im Gegenüber werden wir zum ich. Ohne Gegenüber sind wir niemand! Viele in unserer Gesellschaft wissen, was Einsamkeit bedeutet. und wie gut ist tut, wenn man angesprochen wird, wenn man zur Kenntnis genommen wird, wenn einem Wertschätzung entgegengebracht wird. Darum gibt es aber auch Angebote in unseren Gemeinden, wo man zusammenkommen kann. Aufmachen allerdings muss man sich. Und wir werden unser Augenmerk darauf legen diejenigen, die einsam sind und nicht (mehr) kommen können, aufzusuchen. Noch einmal anders ist die Situation der Hagar, die diese Worte spricht. Sie sieht sich mit ihren Problemen allein gelassen. Sie läuft ihren Problemen davon. Sie war in eine Sackgasse geraten. Dabei konnte sie anfangs gar nichts dafür. Hagar war die Magd Saras; der Ehefrau von Abraham. Der Abraham, mit dem die Geschichte des Glaubens beginnt. Der von Gott die Verheißung bekam Vater eines großen Volkes zu werden. Dazu braucht es Nachkommen. Aber Sara bekam keine Kinder und wurde alt – Abraham auch! Und da wollen sie der Verheißung nachhelfen. Sie tun, was damals im Orient nicht unüblich war. Die Magd soll, stellvertretend für Sara, schwanger werden. Von Abraham. Dann gilt das Kind, das Hagar gebären wird als Kind Abrahams und Saras. Die Idee geht zunächst auf. Hagar wird schwanger. Aber als sie /Hager/ nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. Und Sara kann damit nicht umgehen. Sie kann offensichtlich keine Kinder bekommen. Das war in der damaligen Zeit für eine Frau ein großes Problem, denn sie wurde an den Kindern gemessen! Und wenn dann die Magd ihre Schwangerschaft gegenüber ihr ausspielt, dann bringt das ein Fass zum Überlaufen. Abraham – Männer – weigert sich an der Lösung dieses zwischenmenschlichen Konflikts mitzuarbeiten. Klaär du das selbst. Dein Problem. Dabei wäre Hagar ohne Abraham nicht schwanger. Und Sara übt Druck auf Hager aus. Diese hält Saras Anfeindungen schließlich nicht mehr aus und flieht in die Wüste. Da ist sie nun. Schutz, hilf und mittellos. Eigentlich ohne Zukunft. Allein in ihrer Not mit ihrer Schwangerschaft. Dort aber begegnet ihr ein Engel, ein Bote Gottes. Er nimmt sie wahr. Er spricht ihr Mut zu. Er eröffnet ihr Zukunft, schenkt neue Perspektiven / Aussichten. Und Hager erkennt darin Gott, der zu ihr redet und sie nannte ihn: Du bist ein Gott, der mich sieht. Von Gott wahrgenommen auch in und mit ihrer Not. Und es spielt noch etwas Zweites mit hinein. Im Hebräischen kann dieser Satz aktiv und passiv verstanden werden. Der Gott, der mich sieht, ist der Gott, der sich sehen lässt – nicht von Angesicht zu Angesicht, aber durch den Engel, durch seine Botinnen und Boten, und damit auch durch uns. Gott gibt sich zu erkennen. Der Gott, der mich sieht, öffnet sich selbst für uns. In Christus reicht er uns die Hand und will mitten unter uns sein. Und er petzt nicht. AMEN

Pfarrer Hans-Jörg Mack, ev. Auferstehungskirche