Am 12. März 2023
LESUNG: Röm 5, 1-5
Liebe Gemeinde, ein gewichtiger Text, den wir gerade gehört haben. Annähernd jede bedeutsame christliche Vokabel taucht darin auf: Frieden mit Gott; gerecht durch den Glauben; Gnade; Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit; liebe Gottes und Heiliger Geist. Aber auch: Zorn und Versöhnung; Bedrängnisse, Geduld, Bewährung, Hoffnung. Damit könnte man ein halbes oder gar ganzes christliches Lexikon füllen.
Und würden wir all diese Worte richtig verstehen, in ihrer richtigen Bedeutung erfassen, dann hätten wir wohl das Wesentliche des christlichen Glaubens begriffen oder erfasst. Dabei erschlägt uns die Fülle und Dichte dieser Worte doch eher?! Und rufen sie nicht auch Widerspruch hervor? Wessen wollen wir uns im Glauben rühmen; „der Bedrängnisse“, wie Luther übersetzt? Oder der Hoffnung „der zukünftigen Herrlichkeit“? Vielleicht der Reihe nach, soweit wir kommen. „Jetzt haben wir Frieden mit Gott“, sagt Paulus. Das ist die These des ersten Satzes: Frieden mit Gott. Aber war den Streit oder Krieg zuvor? Denn Streit oder Krieg, das ist doch das Gegenteil von Frieden. Doch liegen oder lagen wir wirklich mit Gott im Streit? Wie geht es Ihnen, liebe Gemeinde, liegen oder lagen Sie mit Gott im Streit? Wir haben doch unseren Frieden mit Gott. Wir sind schon recht. Wir tun ihm nichts, und er tut uns nichts. „Mit mir oder wegen mir muss Gott nicht streiten. Aber haben wir deshalb schon Frieden mit Gott? „Ich habe keinen Streit mit Gott“, wird auch der- oder diejenige sagen können, der Gott einen guten Mann sein lässt. Aber hat er mit ihm Frieden? Unfrieden ist ja nicht allein Krieg und Streit. Beginnt der Unfrieden nicht schon viel eher, und wächst dann zu all dem schrecklichen aus, das uns als Krieg vor Augen steht? „Wir haben jetzt Frieden mit Gott!“ Mit diesen Worten des Apostels Paulus ist gewiss das Zentrale unseres christlichen Glaubens ausgesagt. Da sind wir in der Mitte des Evangeliums, das ist die Kernaussage der Bibel. Aber, begreifen wir es überhaupt? „Wir hatten oder haben keinen Streit miteinander.“ Aber: „Gerecht durch den Glauben, haben wir (jetzt) „Frieden mit Gott!“ ist etwas anderes als: „Ich habe mit Gott meinen Frieden gemacht.“ Denn es geht dem Apostel gerade nicht darum, dass wir Frieden mit Gott gemacht hätten: Er hat Frieden mit uns gemacht. Zurück zum Gegenteil des Friedens. Das ist nicht immer gleich Krieg und Mord und Totschlag. Das alles fängt doch schon viel früher an. Wir meinen, wir hätten keinen Streit mit Gott. Wir verstehen uns doch gut. Er kann mit mir zufrieden sein. Ich lasse ihn in Ruhe und er lässt mich in Ruhe. Das scheint mir manchmal die gemütliche Form des Gottesfriedens zu sein. „Ich tue ihm nichts und er tut mir nichts.“ Doch Unfrieden fängt eher an. In der Abschiedsrede Jesu an seine Jünger im Johannesevangelium sagt Jesus: „Ich habe mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Hier steht dem Frieden ein anderes Wort gegenüber. „In der Welt habt ihr Angst.“ Deshalb meine Frage: Ist nicht auch Angst ein Zeichen des Unfriedens? Ohne Zweifel gibt es im Krieg und im Streit Angst. Aber bedingen sie sich? Streit ruft sicher Angst hervor. Wieviel Unschuldige mussten Angst erleiden in den Kriegen, die sich nicht verursacht hatten. Aber wieviel Streit wird nicht auch durch Angst erzeugt? Da ist die Angst zu kurz gekommen, und deshalb neidet man den anderen das, was sie haben, begehrt danach, und wie leicht wird daraus Streit. Da ist die Angst, etwas zu versäumen; und dann werden die Ellbogen eingesetzt und das Klima des Miteinanders verschärft sich, bis einem der Kragen platzt. Da ist die Angst, nichts mehr zu gelten; und deshalb spielt man mit den Muskeln, und wie leicht haut man dabei einem eine runter. Angst kann Streit auslösen. „Ich habe keinen Streit mit Gott!“ Wer so spricht, hat er wirklich Frieden? Ich möchte das bezweifeln. Denn wie ist genau das Verhältnis (oder das Unverhältnis) von Angst gekennzeichnet? Eher eine unbewusste Angst. Manchmal passiert es mir, dass sich Menschen, wenn sie erfahren, dass ich Pfarrer bin, sich ganz spontan, und ohne das ich irgendetwas gesagt hätte, entschuldigen, dass sie nicht in die Kirche gehen. „Ach, ich wollte schon lange mal wieder gehen.“ „Ich komme sonntags nicht so oft dazu!“ Mich erstaunt es immer wieder, dass sich Menschen, ohne einen Vorwurf hören zu müssen, entschuldigen. Warum dieses schlechte Gewissen? Resultiert es etwa aus einer (unbewussten) Angst vor Gott? Man würde sich diese Angst nie als Angst eingestehen. Aber warum entschuldigen sich dann Menschen? „Frieden mit Gott – Ich habe keinen Streit!“ Irgendwie gibt es wohl eine Ahnung, dass doch nicht alles so im Frieden ist, dass Frieden mit Gott noch etwas ist, das einzuholen ist. Diese Angst ist das Resultat einer Unkenntnis. Denn wie oft hat man Angst vor dem, was einem Fremd ist? Vor dem, was ich nicht kenne, was mir unbekannt ist, von dem ich nur eine vage Ahnung habe, habe ich Angst. Rührt die unbewusste Angst vor Gott aus der Unkenntnis über diesen Gott? Dass ich irgendwie an einen Gott glaube, macht noch nicht den Frieden mit Gott aus. Viele Religionen, und auch das Christentum war nicht immer frei davon, bauen auf die Angst vor einem Gott; einem Gott, bei dem ich nicht weiß, woran ich bin. Ein Gott, den ich besänftigen, den ich beschwichtigen muss, der gnädig zu stimmen ist. Und das ist oftmals tief in uns drin. Die Meinung, wir müssen ihm etwas bringen, damit er uns Gnade gewährt, damit er uns seinen Frieden schenkt. Wir sind gegenüber Gott in einer Bringschuld. Und daher immer wieder auch das schlechte Gewissen. Wie die Spitze eines Eisberges. Zeichen des Unfriedens mit Gott. Doch Paulus schreibt, dass die Tür zum Frieden mit Gott offensteht. „Durch Jesus Christus haben wir auch den Zugang im Glauben dieser Gnade.“ Die Tür zu dem, was wir doch sehnlichst erwarten, ist auf. Gott muss uns kein unbekannter Gott bleiben, vor dem wir uns ängstigen müssten. Aber das Entscheidende ist eben, dass er die Tür auftut. „Wir haben den Zugang“. Damit spielt Paulus auf die Tradition des großen Versöhnungstages im Alten Testament an. Einmal im Jahr hat der oberste Priester am großen Versöhnungstag, an Jom Kippur, das Allerheiligste des Tempels, den Ort der Gegenwart Gottes betreten. Der Zugang zu diesem Allerheiligsten des Tempels wurde ermöglicht durch das besondere Opfer an diesem großen Versöhnungstag. Nur durch dieses (Tier-) Opfer war der Zugang möglich. Dieses Opfer hat Gott selbst eingesetzt, damit der oberste Priester an diesem Tag Sühne für das Vergehen des Volkes gegenüber Gott für das Volk erlangen konnte. Zugang zu Gott. Von diesem Zugang zu Gott, dass wir ihm nahen dürfen, und dass er nicht mehr der so fremde und unbekannte für uns bleiben muss, spricht Paulus. Wir dürfen eintreten in den Raum der Gnade, in den Raum des Friedens mit Gott. Doch wesentlich ist eben auch: Gott macht den Weg selbst frei. Gott selbst stößt die Tür auf. Der Zugang zu Gott wird nicht frei ohne Opfer. Doch, aber das ist das große Wunder, dieses Opfer müssen nicht wir bringen. Sühne, so der biblische Begriff für den Sachverhalt am großen Versöhnungstag, für das was zwischen uns und Gott steht, müssen nicht wir leisten. Sühne ermöglicht Gott, indem er sich selbst gibt als Opferlamm. „Durch Jesus Christus haben wir Zugang zur Gnade.“ Wir haben Frieden mit Gott. „Ich habe keinen Streit mit dem lieben Gott.“ Das kann oberflächlich so aussehen, aber habe ich Frieden? Frieden mit Gott beginnt, wo ich erkenne, dass er mir in Jesus Christus als der liebende, als der barmherzige begegnet. Und dann können wir „(uns) rühmen“. Doch aufgepasst: die Übersetzung ist missverständlich. Es geht nicht darum, dass wir uns, wegen unserer Leistung auf die Schultern klopfen. Es geht darum, dass wir ein gutes Gewissen haben. Wir dürfen uns freuen, dass Gott uns die Zukunft eröffnet. Die Zukunft, die durch unseren menschlichen Horizont nicht begrenzt bleibt. Das ist Frieden mit Gott. Amen
Pfr. Hans-Jörg Mack