Am 02. Juni 2024
Seit 75 Jahren gibt es das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das wurde in den vergangenen Tagen ausgiebig gefeiert, mit Recht. Denn das Grundgesetz gilt weltweit als vorbildlich. Kernstück des Grundgesetzes ist die Erklärung der Menschenrechte, der Grundrechte. „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, sofern er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich … Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Jede und jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf freie Ausübung der Religion. Wie werden diese Menschenrechte begründet? Gelten sie, weil sie vor 75 Jahren vom Parlamentarischen Rat, einer Versammlung von Männern und Frauen unter Vorsitz des späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer mit Mehrheit verabschiedet wurden? Was wäre, wenn der Parlamentarische Rat beschlossen hätte: Alle Menschen sind gleich, sofern sie helle Haut haben, blaue Augen, blonde Haare, und wenn sie mindestens 1 Meter 80 groß sind und akzentfreies Deutsch sprechen? So etwas wäre vermutlich im Grundgesetz gestanden, wenn es nicht vor 75 Jahren verabschiedet worden wäre, sondern vor 80 Jahren. Stichwort akzentfreies Deutsch. Was wäre dann mit den Bayern? Ein herber Verlust. Grundrechte gelten unabhängig von Mehrheitsentscheidungen. Wie werden Menschenrechte begründet Sie werden theologisch begründet. Auf der ersten Seite der Bibel lesen wir: Gott erschafft den Menschen als sein Ebenbild, als sein Abbild, ihm ähnlich. Ebenbild. Im hebräischen Text steht hier das Wort zäläm, wörtlich übersetzt: das Standbild, die Statue. Ein König herrscht über mehrere Städte. In jeder Stadt lässt er eine Statue von sich aufstellen. Sie zeigt an: Hier herrscht dieser König. Die Statue repräsentiert diesen König, seine Herrschaft. Genauso repräsentiert der Mensch Gott in der Welt. Der Mensch ist Gott ähnlich. Er hat eine Würde und er hat Grundrechte, die nicht verletzt werden dürfen. Die Menschenrechte, wie wir sie kennen, kommen aus der Bibel, aus der jüdisch-christlichen Religion. Was aber tun Menschen, die nicht religiös sind, die nicht an Gott glauben? Wie begründen sie die Grundrechte? Menschenrechte werden philosophisch begründet, mit der Goldenen Regel. Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Positiv formuliert: Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen. So sagt es Jesus in der Bergpredigt. Er denkt noch weiter: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Die Goldene Regel ist der Kerngedanke dessen, was Immanuel Kant den Kategorischen Imperativ nennt. Das fundamentale Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Nur wenn ich lebe, kann ich meine Meinung frei äußern, meine Religion ausüben, meinen Beruf frei wählen, zu einer Versammlung einladen. Ohne das Recht auf Leben werden alle anderen Grundrechte faktisch ausgelöscht. Der Staat hat die Pflicht, das Leben der Menschen zu schützen. Dafür gibt es die Polizei, die Justiz, die Gesetze, die Bundeswehr, Krankenhäuser, Rettungsdienste und vieles mehr. Jeder Mensch hat das Grundrecht auf Leben. Das gilt auch für Menschen in den neun Monaten vor ihrer Geburt. Da sind sich Juristen und Parlamentarier, Philosophen und Theologen einig. Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes, ihm ähnlich. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner