Am 18. April 2025
„Was ist Wahrheit?“, Schwestern und Brüder. Diese Frage richtet Pilatus an Jesus. Was ist Wahrheit? Wer weiß das schon? Und wenn man sich die politischen Entwicklungen unserer Zeit ansieht, möchte man die Frage hinzufügen: Und wen interessiert es? Jesus sagt: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“ Und doch wird ein notorischer Lügner von evangelikalen Christen, aber auch von Katholiken, zum Präsidenten der USA gewählt. Warum?
Warum machen Menschen das? Wenn wir den Tod von Jesus am Kreuz verstehen wollen, dann kann genau das eine Schüsselfrage sein: Wie ist der Mensch? Und wie hält es der Mensch mit Wahrheit und Gerechtigkeit? „Ecce homo“ - „Seht, der Mensch!“ sagt Pilatus. Joseph Ratzinger übersetzt es etwas anders: „Siehe, das ist der Mensch“ Pilatus zeigt dabei auf den gepeinigten Jesus – gegeißelt und mit einer Dornenkrone auf dem Kopf. Ans Kreuz mit ihm, ruft das Volk! Siehe, das ist der Mensch. Siehe wozu er fähig ist. So geht er mit Wahrheit und Gerechtigkeit um. Er geißelt sie. Er kreuzigt sie. Warum? Der griechische Philosoph Platon beschrieb etwa 400 Jahre vor Jesu Kreuzigung in seinem Werk „Der Staat“ ein Gedankenexperiment. Er fragt, wie es dem vollkommen Gerechten und dem vollkommen Ungerechten in der Welt ergehen würde. Und er kommt zu dem Schluss: Dem vollkommen Ungerechten wird es besser ergehen! Am Ende – so Platon – „wird man den vollkommen Gerechten schlagen und foltern und einkerkern. Man wird ihm die Augen ausbrennen und ihn nach all diesen Misshandlungen zuletzt ans Kreuz schlagen.“ Den vollkommen Gerechten wird man ans Kreuz schlagen. Das schrieb Platon 400 Jahre vor Jesu Kreuzigung. Zur Begründung schrieb Platon, dass der vollkommen Gerechte den Unmut aller auf sich ziehen werde. Weil er durch sein Verhalten den anderen einen Spiegel vorhält. Er lässt die anderen ihr Fehlverhalten erkennen. Er macht ihre Ungerechtigkeit offensichtlich. Den gleichen Gedanken lesen wir im Buch der Weisheit. In den ersten Kapiteln lesen wir von den Frevlern, die ihren Genuss steigern und in Luxus leben wollen. Die Frevler – sie versuchen sich Vorteile zu verschaffen auf Kosten der Armen, Witwen und Alten. „Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist“, heißt es in Kapitel 2, Vers 11. Laut Buch der Weisheit sagen es die „Frevler“. Heute nennen wir diese Frevler „Autokraten“ und „Populisten“. Sehr genau wird im Buch der Weisheit beschrieben, wie bei den Frevlern der Unmut gegen den Gerechten wächst, dessen toratreuer Lebensstil ihnen einen Spiegel vorhält, den sie nur schwer ertragen können. Wörtlich heißt es im Buch der Weisheit: „Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er ist unserer Gesinnung ein lebendiger Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig. Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen!“ Der Gerechte – man könnte ihn auch „Gutmensch“ nennen. „Gutmensch“. Das Unwort des Jahres 2015. Wir Menschen ertragen es nicht, wenn uns jemand einen Spiegel vorhält. Wir ertragen die Wahrheit nicht, wenn sie uns lästig ist. Da ersetzen wir lieber die Wahrheit durch „alternative Fakten“. Und so rennen heute Millionen von Menschen den Ungerechten hinterher. Hauptsache sie bekommen keinen Spiegel vorgehalten. Hauptsache niemand sagt ihnen, dass sie ihr Verhalten ändern müssen. Der Gutmensch – ans Kreuz mit ihm! „Das Kreuz ist Offenbarung“, schreibt Joseph Ratzinger. „Es offenbart, wer Gott ist und wie der Mensch ist.“ Gott ist der vollkommen Gerechte. Gott ist als Jesus von Nazareth in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Und an dieser Wahrheit hält Jesus fest bis in den Tod. Bis zum Tod am Kreuze. „Als der Hauptmann sah, was geschehen war, pries er Gott und sagte: ‚Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter‘“ heißt es im Lukasevangelium nach dem Kreuzestod Jesu (Lk 23, 47). Der Mensch hingegen ist so, dass er den Gerechten nicht ertragen kann. Joseph Ratzinger schreibt: „So bist du, weil du als Ungerechter selbst immer die Ungerechtigkeit des andern brauchst, um dich entschuldigt zu fühlen.“ Der Gutmensch – ans Kreuz mit ihm, schreit das Volk! Jesus ist in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Und er sagt: „Jeder der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“. Und folgt Jesus nach. Bei der Kreuzesnachfolge geht es deshalb nicht darum, im Leben möglichst viel Schmerz zu erfahren. Es geht darum, dass wir uns der Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichten. Auch wenn wir dabei Unmut auf uns ziehen. Auch wenn wir dafür – bildlich gesprochen – ans Kreuz geschlagen werden. Und wenn man nicht weiß, was die Wahrheit ist, gilt es die Wahrheit zu suchen. Manchmal hilft die dabei Antwort auf die Frage: „Was würde Jesus sagen?“ Schließlich ist er der Weg, die Wahrheit und das Leben. Worin liegt die Hoffnung in der Kreuzesnachfolge für uns Christen? Im Buch der Weisheit heißt es: „Die Seelen der Gerechten aber sind in Gottes Hand. Und keine Folter kann sie berühren. Ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit.“ (Weish 3, 1.4b) Oder anders gesagt: Ostern wird kommen. Das ist unsere Hoffnung an jedem Karfreitag in unserem Leben.
Diakon Markus Lubert
Bildnachweis:
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Christus vor Pilatus - Gemälde von Mihály Munkáscy, 1880