Am 18. April 2025

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Zone of Interest, zu Deutsch: Interessengebiet, Sperrgebiet, Zone of Interest, das ist der Titel eines Films über Rudolf Höß. Er war Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Das Gebiet um das Lager ist Sperrgebiet. Häftlinge, die fliehen, finden dort keinen Unterschlupf. Sie haben keine Chance. Rudolf Höß lebt mit seiner Familie in einem schönen Haus mit großem Garten.

Es gibt Blumen, Obstbäume, Beete mit Gemüse, ein Gewächshaus, sogar einen kleinen Swimmingpool für die Kinder, alles ganz wunderbar, ein Familienparadies. Die Mauer des Gartens ist die Mauer des Konzentrationslagers. Dahinter beginnt das Grauen. Es ist nicht zu sehen, aber zu hören. Schüsse, Schreie, das Rattern von Güterzügen. Im Hintergrund, über der Mauer, ist Rauch zu sehen, Wolken aus Rauch. Das Grauen und das Familienidyll, der Kontrast ist kaum auszuhalten. Wie können Menschen so etwas tun, die eigene Familie liebevoll umsorgen und gleichzeitig Hunderttausende von Menschen ermorden, auch Frauen und Kinder? Rudolf Höß geht mit seinen Kindern zum Baden an einen nahegelegenen Fluss. Im Wasser findet er Asche, viel Asche, sterbliche Überreste der Ermordeten. Fluchtartig verlässt die Familie die Badestelle. Die Kinder werden zu Hause in der Badewanne abgeschrubbt, überall Asche, grauenvoll. Am Ende des Films ist die Gedenkstätte von Auschwitz zu sehen, riesige Berge von Schuhen, eine Gaskammer, Verbrennungsöfen. Wie können Menschen so sein, so grausam, so gleichgültig dem Leiden anderer gegenüber? Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit, sagt Elie Wiesel. Er hat Auschwitz überlebt. Wie kann man nach Auschwitz noch an Gott glauben? Wo war er, als Millionen von Menschen ermordet wurden? Heute am Karfreitag schauen wir auf das Kreuz. Jesus stirbt am Kreuz. In ihm teilt Gott das Leiden und den Tod der Menschen. Er steht nicht daneben und schaut zu, unbeteiligt, ungerührt. Nein. Ihm ist nicht gleichgültig, was geschieht. Er begibt sich hinein in das Grauen. Er teilt die Not der Leidenden. Er wird einer von ihnen. Einer von uns. So beginnt Erlösung. So kann man an Gott glauben, nach Auschwitz. Compassion, Kom-Passion, Mit-Leiden, das Leid der Leidenden teilen, so beschreibt der Theologe Johann Baptist Metz das, was Gott tut. Die Passion von Jesus am Kreuz ist die Passion Gottes, die Passion aller leidenden Menschen, Compassion. Der Mensch ist der Weg zu Gott, Theologie ist Anthropologie, sagt der Theologe Karl Rahner. Im Film schleicht ein Mädchen nachts zum Lager und legt heimlich Äpfel ab, für die Zwangsarbeiter, die dort Gräben ausheben. Ein Apfel, Zeichen des Lebens, Zeichen der Hoffnung. Auch in unserer Zeit leiden Menschen unter Gewalt, unter Krieg, unter Hunger und Krankheit, unter Armut, unter Einsamkeit. Gott ist bei ihnen. Er teilt ihr Leid. Sind wir auch bei ihnen? Oder sind wir distanziert, gleichgültig, unbeteiligt, ungerührt, in unserem wunderbaren Garten, direkt neben dem Lager? Gott bleibt nicht auf Distanz. Er geht hinein ins Lager. Das ist sein Interessengebiet, seine Zone of Interest. Er teilt die Not der Leidenden. Compassion. So beginnt Erlösung. So beginnt neues Leben.

 

Pfarrer Dr. Bernhard Lackner 

 

Bildnachweis:

  • Christus vor Pilatus - Gemälde von Mihály Munkáscy, 1880