am 21. Januar 2018
Predigt am 3. Sonntag im Lesejahr B
Evangelium: Jona 3, 1-10
Harry Potter und der Stein der Weisen. Unter diesem Titel erschien vor etlichen Jahren in England ein Buch. Es erzählt von einem Jungen. Er heißt Harry Potter. Er ist elf Jahre alt. Er ist nicht wie andere Kinder. Er kann zaubern. Deshalb besucht er eine besondere Schule. Dort wird Zauberei gelehrt und gelernt in Theorie und Praxis und mit Prüfungen. Eine wunderbare Geschichte. Sie wird erzählt in sieben dicken Bänden. Sie wurde verfilmt in acht großen Kinofilmen.
Die Autorin der Geschichte, Joanne K. Rowling, ist seither eine reiche Frau, eine der reichsten Frauen der Welt. Das war nicht immer so. Den ersten Band der Reihe hatte sie noch in einem Café geschrieben. Dort war es wärmer als bei ihr zu Hause. Auch das eine wunderbare Geschichte. Warum erzähle ich Ihnen das? Ganz einfach: In der heutigen Lesung begegnet uns der Harry Potter des Alten Testamentes, wenn wir so wollen. Er heißt Jona. Er ist aber kein Zauberer. Er ist ein Prophet. Trotzdem, Jona hat etwas mit Harry Potter gemeinsam. Der Prophet Jona, seine Geschichte, sie ist unheimlich spannend, und frei erfunden. Den Propheten Jona hat es nicht wirklich gegeben. Was wir über ihn wissen, seine Geschichte, sie hat sich nicht wirklich ereignet. Sie ist reine Phantasie. Das sagen uns die Bibelwissenschaftler. Moderne Bibelwissenschaftler arbeiten historisch-kritisch. Sie fragen: Was ist wirklich passiert? Historisch-kritische Bibelwissenschaftler sind Literaturwissenschaftler. Sie fragen: In welcher Form wurde ein Text geschrieben? Ist das ein Tatsachenbericht? Oder so etwas wie ein Roman? Sie stellen fest: Das Buch Jona im Alten Testament, es ist eine Novelle. Die Novelle ist eine Erzählung, ausführlich, bunt ausgeschmückt, spannend. Man mag sie gar nicht mehr aus der Hand legen, wenn man einmal mit dem Lesen angefangen hat. Die Personen und die Handlung sind frei erfunden und trotzdem ist die Geschichte wahr. Freilich nicht so wie ein Tatsachenbericht. Was sagt uns die Geschichte von Jona, dem Propheten? Sie sagt viel Wahres über Gott und über die Menschen. Die Menschen tun nicht immer das Richtige, das Gute. Sie tun auch Böses. Gott sieht das. Er greift ein. Er sendet einen Boten zu den Menschen, einen Propheten. Der soll den Menschen sagen: Gott wird euch bestrafen. Was macht der Prophet? Er läuft erst einmal davon. Er will den Auftrag nicht ausführen. Warum? Der Auftrag könnte unangenehm sein, anstrengend, gefährlich. Denn die Leute, zu denen er gesandt ist, leben in Ninive. Das ist die Hauptstadt einer Großmacht, die Stadt der Assyrer. Die haben viele Soldaten. Die sind bekannt dafür, dass sie mit ihren Feinden nicht zimperlich sind. Jona weiß das und haut ab. Nur weg von hier. Weit weg. Vermutlich kennen wir das auch. Wir sollten dringend etwas erledigen, etwas Wichtiges. Doch das könnte unangenehm sein oder gefährlich? Also lassen wir es erst einmal liegen. Wir hauen ab wie Jona. Doch Gott holt ihn zurück. Jona ist auf einem Schiff auf hoher See. Ein Sturm bricht los. Jona wird über Bord geworfen. Der Sturm legt sich sofort. Gott schickt einen großen Fisch. Der Weiße Hai lässt grüßen. Oder war es Moby Dick? Oder vielleicht doch ein Basilisk? Nein, nur ein großer Fisch. Der verschlingt Jona. Jona betet im Bauch des Fisches drei Tage lang. Dann speit ihn der Fisch an Land. Spektakulär. Und Jona? Jetzt führt er seinen Auftrag aus. Die Menschen in Ninive sehen ein: Sie haben Böses getan, und sie hören damit auf, sofort. Und Gott? Er sieht das und führt seine Drohung nicht aus. Gott verzeiht. Das ist wahr. Wenn wir die Bibel verstehen wollen, können wir fragen: In welcher Form ist der Text geschrieben? Das Buch Jona ist eine Novelle, eine Erzählung, ausführlich, bunt ausgeschmückt, spannend. Die Menschen in der Geschichte, die Personen, die Handlung, sie sind frei erfunden, und trotzdem ist die Geschichte wahr.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner