Am 29. Mai 2023
EVANGELIUM: Lk 6,27-36
Wir wollen gut leben. Wir halten uns an die Zehn Gebote. Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du wirst, du sollst nicht töten. So lautet das fünfte Gebot der kirchlichen Zählung. Worum geht es? Wir schauen genau auf den Text, der in der Bibel steht. Da steht nicht: Du sollst nicht töten. Da steht: Du sollst nicht morden. Das macht einen Unterschied.
Morden bedeutet: einen Menschen absichtlich töten, heimtückisch, aus niederen Motiven. Das ist das schlimmste Verbrechen. Mord. Dem Israeliten ist dieses Verbrechen verboten. Nicht verboten ist ihm das Töten in anderen Fällen. Er darf einen Angreifer in Notwehr erschlagen. Er darf in den Krieg ziehen. Er darf Verbrecher hinrichten. Das fünfte Gebot verbietet ursprünglich nur den Mord. Doch im fünften Gebot klingt mehr an, die Einsicht: Menschliches Leben muss geschützt werden. Nicht der Mensch ist Herr über das Leben. Gott ist der Herr des Lebens. Er gibt es und er nimmt es. Leben zu schützen ist die oberste Pflicht des modernen Rechtsstaats. Der Staat hat das Recht und die Pflicht, Gewalt anzuwenden, wenn das Leben von Menschen bedroht ist. Wenn Menschen angegriffen werden, darf in bestimmten Fällen jede und jeder Gewalt anwenden. Ich darf einen Angreifer, der mich töten will, abwehren, mit Gewalt. Notwehr. Ein Amokläufer stürmt in eine Schule. Er schießt auf Kinder. Ein Polizist sieht es. Er hat die Pflicht einzugreifen. Er darf den Verbrecher erschießen, wenn der anders nicht zu stoppen ist. Das ist Nothilfe. Ein Volk wird von einer fremden Militärmacht angegriffen. Es hat das Recht sich zu verteidigen, mit Waffengewalt. Verteidigung ist erlaubt. Jesus zeigt noch einen anderen Weg, in seiner Bergpredigt. Wir können auf das Recht, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, verzichten, nicht zurückschlagen, die andere Wange hinhalten. So kann der Teufelskreis der Gewalt durchbrochen werden in bestimmten Fällen, aber nicht in allen. Menschen und Völker haben das Recht, sich mit Gewalt zu verteidigen und so das Leben zu schützen. Gilt das auch für die Todesstrafe? Darf ein Staat einen Verbrecher hinrichten? Die Kirche setzt sich für die Abschaffung der Todesstrafe ein und für die Begnadigung von zum Tode Verurteilten. In vielen Demokratien ist die Todesstrafe abgeschafft, nicht in den USA, nicht in China, nicht im Iran, nicht in Nordkorea. Das Recht auf Leben ist das fundamentale Menschenrecht. Menschliches Leben zu schützen ist die oberste Pflicht des Rechtsstaats. Das gilt besonders, wenn ein Mensch hilflos und wehrlos ist. Leben schützen. Das gilt auch für das Leben von Tieren. Jetzt im Frühjahr sieht man an Straßen Verkehrsschilder, auf denen eine Kröte abgebildet ist. Amphibien wandern zu ihren Laichplätzen. Dabei überqueren sie Straßen. Das ist für sie lebensgefährlich. Autofahrer müssen Acht geben. Tierschützer sind vor Ort, auch nachts. Sie sammeln die Erdkröten ein und tragen sie sicher über die Straße. Überfährt ein Autofahrer vorsätzlich eine Erdkröte, droht ihm eine Geldstrafe, bis zu 50 000 Euro, oder bis zu drei Jahre Haft. Erdkröten sind eine streng geschützte Art. Das fünfte Gebot schützt das Leben. Das Recht auf Leben ist das fundamentale Menschenrecht. Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du wirst, du sollst nicht töten.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner