Am 18. August 2024

Zeltbuch von Tumilat. Unter diesem Titel veröffentlichte der Schriftsteller Erhart Kästner 1967 ein Buch. Erhart Kästner, nicht zu verwechseln mit Erich Kästner, war promovierter Literaturwissenschaftler. In jungen Jahren war er Privatsekretär von Gerhart Hauptmann. Später leitete er eine große Bibliothek. Er hat wunderbare Bücher geschrieben.

Sie erzählen von Reisen nach Griechenland und auf die griechischen Inseln. Sie sind aber mehr als nur Reisebeschreibungen. Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos. Griechische Inseln. Kreta und Zeltbuch von Tumilat. Am Ende des Zweiten. Weltkriegs war Erhart Kästner als Soldat in britische Kriegsgefangenschaft geraten. Er wurde nach Ägypten gebracht, in ein Kriegsgefangenenlager in der Wüste. Tumilat heißt der Ort. Das hört sich nicht gut an. Sand so weit das Auge reicht. Essen. Trinken. Schlafen. Mehr geht da nicht. Denkt man. Doch es geht mehr. Im Lager entfaltet sich ein reges kulturelles Leben. Die Briten erlauben das. Sie sind keine Barbaren. Die Gefangenen spielen Theater. Sie musizieren. Sie halten Vorträge. Vorlesungen. Mancher sagt: So konzentriert und fokussiert, wie ich damals in der Wüste gearbeitet habe, das ist mir später nie mehr gelungen, später an der Universität in Freiheit. Die Wüste als Ort der Konzentration auf das Wesentliche. „Jedermann braucht etwas Wüste.“ So sagt es Erhart Kästner. „Jedermann braucht etwas Wüste“. Deshalb gehen Menschen in die Wüste. Sie werden nicht in die Wüste geschickt. Sie gehen freiwillig. Es beginnt im 3. Jahrhudnert. Antonius ist der Erste. Er verlässt die Stadt, den Lärm, das Durcheinander. Er geht in die ägyptische Wüste. Er sucht Gott. Er findet ihn. Viele folgen ihm. Eremiten, von griechisch Eremos. Wüste. Eremitage. Einsiedelei. Das gibt es nicht nur in Ägypten oder auf dem Sinai. Das gibt es auch in einer kleinen Almhütte hoch in den Schweizer Bergen. Vier Monate im Jahr nur mit dem Helikopter zu erreichen. Oder in einer Holzhütte im Westerwald. Die Wüste. Ort der Fokussierung, der Konzentration auf das Wesentliche. Das erleben die Israeliten vor 3000 Jahren. Sie sind auf dem Weg heraus aus Ägypten, dem Land der Sklaverei, hinein in das Gelobte Land. Dazwischen liegt die Wüste. Diese Geschichte erzählt unser Fastenhungertuch von 2022. Es hängt hier in unserer Kirche in Böfingen, in der Kapelle am Eingang. Die Künstlerin Karin-Maria Breidbach hat es gemalt unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Auf dem Hungertuch zu sehen ist das Volk Israel. Es zieht durch die Wüste unter größten Strapazen, in größter Not. Doch die Wüste ist nicht nur der Ort der Not und der Gefahr. Sie ist auch der Ort, an dem Gott seinem Volk nahe kommt. Auf unserem Fastenhungertuch ist das zu sehen. In der Mitte ist die Bundeslade abgebildet. In ihr geborgen sind die zwei Tafeln des Gesetzes. Zehn Gebote, dem Volk geoffenbart und übergeben durch Mose am Berg Sinai in der Wüste. Zehn Gebote. Sie weisen den Weg. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Den Namen Gottes nicht missbrauchen. Den Sabbat halten. Vater und Mutter ehren. Nicht morden. Nicht die Ehe brechen. Nicht stehlen. Nicht falsch aussagen gegen deinen Nächsten. Nicht verlangen nach der Frau deines Nächsten und nach seinem Eigentum. Zehn Gebote. Weisung zum Leben. Gottes Geschenk an uns. Nehmen wir es an? Links oben auf dem Hungertuch ist Brot zu sehen. Es kommt vom Himmel herab. Die Israeliten finden es am Morgen rings um ihr Lager auf dem Boden. Etwas Feines, Knuspriges. Brot vom Himmel. Manna. Genug für alle. Niemand muss hungern. So stärkt Gott sein Volk auf seinem Weg durch die Wüste ins Gelobte Land. Brot vom Himmel. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben.“ Das sagt Jesus heute im Johannesevangelium. Johannes, der Evangelist. Ein ganzes langes Kapitel in seinem Evangelium, das 6. Kapitel, widmet er diesem Geheimnis. 71 Verse. Das reicht für fünf Sonntage zum Vorlesen in der Messfeier. Heute, an den vergangenen drei Sonntagen und am kommenden Sonntag. Das zeigt, wie kostbar dieses Geheimnis den Christen vor 1900 Jahren war: Jesus. Brot vom Himmel. Brot des Lebens. Eucharistie. Jesus Christus. Er begleitet uns auf unserem Weg. Er stärkt uns. Er ist bei uns im Wort und im Brot. Er befähigt uns, andere zu stärken, zu begleiten. Das versuchen wir als einzelne, als Gemeinde, als Kirche. So gut wir es können. Mit Gottes Hilfe. Ich kann dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.


Pfarrer Dr. Bernhard Lackner