am 25. Dezember 2020
EVANGELIUM: Joh. 1, 1-18
Lange habe ich auf ihn gewartet. Sehr lange. Fast den ganzen Advent. Drei Wochen. Dann endlich ist er gekommen. Vor wenigen Tagen im Radio: Rudolph the Red-Nosed Reindeer. Von dem Lied gibt es viele Versionen. Die beste ist die von Ray Charles. Rudolph the Red-Nosed Reindeer. Rudolph, das Rentier mit der leuchtend roten Nase. Er wird von seinen Rentierkollegen ausgelacht wegen seiner roten Nase. Sie lassen ihn nicht mitspielen bei ihren Rentierspielen. Doch dann kommt der Weihnachtsmann.
Politisch korrekt der Nikolaus. An einem nebligen Weihnachtsabend. Er sagt: Rudolph, ich brauche dich. Ja, genau dich. Du kannst meinen Schlitten ziehen und leiten. Deine rote Nase ist Nebelscheinwerfer und Nebelschlussleuchte in einem. Rudolph ist glücklich. Seine Kollegen lieben ihn ab sofort. Rudolph the Red-nosed Reindeer. Das ist die Geschichte von einem, der ausgegrenzt wird, weil er so anders ist als die anderen. Ausgegrenzt werden. Davon erzählt auch die Bibel an Weihnachten. Ausgegrenzt wird die heilige Familie. Jesus. Maria. Josef. Das Jesuskind, neugeboren, wird in eine Futterkrippe gelegt. Die steht vermutlich in einem Stall, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Ausgegrenzt sind die Hirten. Sie lagern draußen auf dem freien Feld. Sie leben am Rande der zivilisierten Gesellschaft. Man lässt sie nicht gerne herein. Diese wilden Gesellen. Wer weiß, was die im Schilde führen. Ausgegrenzt wird Jesus. Im Johannesevangelium lesen wir heute: Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden. Kinder Gottes. Für Gott sind alle Menschen seine Kinder. Eltern kennen ihre Kinder. Sie wissen: Unsere Kinder sind ganz verschieden voneinander. Jedes hat seine besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten. Jedes hat seinen Platz in unserer Familie. Alle Menschen sind Kinder Gottes. Auch wir. Als seine Kinder sind wir ihm ähnlich. Er lädt uns ein, es ihm gleichzutun. Niemanden ausgrenzen. Genau hinsehen. Der andere. Die andere. Wo sind seine, wo sind ihre besonderen Eigenschaften, Fähigkeiten. Jeder hat seinen Platz und seine Aufgabe in der Familie. Wir kennen Mehmet Scholl. Er macht Werbung für eine Automarke. Für das preisgünstigste neue Auto, das es bei uns zu kaufen gibt. Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen. Mehmet Scholl war ein erfolgreicher Fußballprofi beim FC Bayern München. Sein Problem: In seiner langen Karriere war er oft verletzt. Er war so angeschlagen, dass er keine 90 Minuten durchspielen konnte. Er wurde oft erst spät eingewechselt. In den letzten Minuten. Er war der Joker. Er spielte den entscheidenden Pass. Er schoss das entscheidende Tor. Doch da gab es noch ein Problem. Der FC Bayern reist durch die ganze Welt. Am Flughafen gibt es Kontrollen. Die Bayern wurden meistens einfach durchgewunken. Man kannte sie ja. Nur einer nicht: Mehmet Scholl. Er wurde kontrolliert und stundenlang verhört, weil er Mehmet heißt. Das ist verdächtig. Wer Mehmet heißt, hat der nicht ein Dutzend Kinder zu Hause? Schlägt der seine Frau? Baut der heimlich im Keller Sprengstoffgürtel für einen islamistischen Terroranschlag? Ein Corona-Patient wird ins Krankenhaus eingeliefert. Der fragt nicht: Heißt der Arzt, der mich behandelt, mit Vornamen Manuel oder Mehmet? Hauptsache, er rettet mir das Leben. Gott grenzt niemanden aus. Alle Menschen sind seine Kinder. Jeder hat seinen Wert. Seinen Platz. Seine Aufgabe. So wie Rudolph. Das Rentier mit der leuchtend roten Nase.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner