Am 06.Juni 2022
GEBET: DAS GLAUBENSBEKENNTNIS
Wir feiern Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist. Wir können ihn nicht sehen, aber wir können sehen, was er tut. Was tut er? „Der Geist der Wahrheit wird euch in die ganze Wahrheit führen.“ Das sagt Jesus. Der Geist führt uns in die ganze Wahrheit des christlichen Glaubens. Wie macht er das? Wir glauben an Gott. Wir glauben, dass er zu uns spricht, in seinem Sohn Jesus Christus, verlässlich und endgültig.
Wenn wir wissen wollen, wer Gott ist und was er sagt und tut, schauen wir auf Jesus Christus. Seine Freunde, seine Jünger damals, sie haben ihn erlebt. Sie haben gehört und gesehen, was er gesagt und getan hat. Sie haben seine Botschaft und sein Beispiel in sich aufgenommen. Die christliche Botschaft ist einer Gemeinschaft von Menschen anvertraut, der Gemeinschaft der Christen, der Kirche. Innerhalb der Kirche kennen wir fünf Orte, an denen wir die Glaubenswahrheit finden. Der erste Fundort ist die Bibel. Der zweite Fundort ist die Tradition der Kirche. Der dritte Fundort für ist die Theologie. Der vierte Fundort ist der Glaubenssinn der Gläubigen; alle Christen haben ein intuitives Gespür dafür, was zum christlichen Glauben gehört. Der fünfte Fundort ist das kirchliche Lehramt. Es wird ausgeübt von den Bischöfen mit dem Papst an ihrer Spitze. Ausführlicher spreche ich heute über den zweiten Fundort christlicher Wahrheit: die Tradition. Tradition, das klingt ein wenig wie 100 Jahre Schützenverein oder wie Königlich Bayerisches Amtsgericht. Spaß beiseite. Was meinen wir, wenn wir in der Kirche von Tradition sprechen? Traditionalismus? Messe lesen auf lateinisch mit dem Rücken zum Volk? Tradition ist alles, was die Kirche sagt und lehrt über die Bibel hinaus. Die beiden Glaubensbekenntnisse zum Beispiel. Das kurze Apostolische Glaubensbekenntnis und das Große Glaubensbekenntnis. Letzteres wird an Hochfesten gebetet oder besser noch gesungen, vom Chor in einer festlichen Messe mit Solisten und Orchester. Credo in unum Deum. Dieses Credo steht nicht wörtlich in der Bibel. Trotzdem ist es zentral für unseren Glauben. Formuliert und verabschiedet wurde es auf den beiden ersten Konzilien der Kirche, im Jahr 325 in Nizäa, im Jahr 381 in Konstantinopel. Glaubensbekenntnisse und Konzilien gehören zur Tradition der Kirche, so auch das Zweite Vatikanische Konzil. 1962 bis 1965 hat es in Rom stattgefunden. Eine große Kirchenversammlung. In diesem Konzil hat die Kirche ihre Fenster weit geöffnet für die moderne Welt. Frischer Wind wehte durch die alten Gemächer. Die Ergebnisse waren bahnbrechend: Die Heilige Messe musste nicht mehr in lateinischer Sprache gefeiert werden; sie kann in der jeweiligen Landessprache zelebriert werden, damit die Menschen alles verstehen, damit sie aktiv mitfeiern können. Das Amt des Diakons wurde wieder eingeführt. Das Amt des Bischofs und die Bedeutung seiner Kirche vor Ort wurden gestärkt. Die ökumenische Zusammenarbeit mit evangelischen und orthodoxen Christen wurde ausdrücklich betont und gefördert; ebenso der Dialog mit anderen Religionen. Auch andere Konfessionen und Religionen sind Orte der Wahrheit und der Heiligkeit. Selbst Menschen, die nicht an Gott glauben, aber auf ihr Gewissen hören, können in den Himmel kommen. Die Ehe wurde ausdrücklich als Lebensgemeinschaft definiert, in der Mann und Frau Partner auf Augenhöhe sind. Dies alles und vieles mehr ist Tradition der Kirche, christliche Lehre über die Botschaft der Bibel hinaus. Der zweite Fundort christlicher Wahrheit ist die Tradition der Kirche, Der dritte ist die Theologie. Von ihr wird in der nächsten Predigt die Rede sein.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner