Am 22. Januar 2023
LESUNG: 1 Kor 1,10-17
Seid einer Meinung, Schwestern und Brüder! So haben wir heute in der zweiten Lesung gehört. Aber welche Meinung soll es sein? Auch biologische Geschwister sind nicht immer einer Meinung. Gerade im Kindheitsalter sind Geschwister meist sogar entgegengesetzter Meinung – aus Prinzip. Unterschiedlicher Meinung zu sein ist nichts Schlimmes. Oft anstrengend. Aber ganz normal. Und für eine Weiterentwicklung notwendig.
Wenn immer alle einer Meinung sind, gibt es keinen Fortschritt. Das wird auch Paulus klar gewesen sein. Worauf will er also hinaus? Es gibt auch unter biologischen Geschwistern Streit, bei dem man als Außenstehender nur noch fassungslos zusehen kann. Bei dem man sich als Außenstehender fragt: Wissen die eigentlich noch, worum es ihnen geht? Geht es zumindest einem der Streitenden nur noch um Rechthaberei? Um Machtdemonstration? Und darum, den Geschwistern nicht das Schwarze unter den Nägeln zu gönnen? Und man ist dankbar, nicht Teil dieser Familie sein zu müssen. Ich meine hier den Erbschaftsstreit. Ich bin sicher: Fast jeder und jede von uns kennt Fälle von Erbschaftsstreitigkeiten. Geschwister, die sich bis aufs Messer bekämpfen. Und von einer gerichtlichen Instanz zur nächsten klagen. Und die dabei völlig aus den Augen zu verlieren scheinen, was eigentlich das Ziel einer Familie sein sollte: Freiräume für die Entfaltung der Familienmitglieder zu schaffen. Sich gegenseitig zu unterstützen, wo es notwendig ist – ein stabiler Halt in den Stürmen des Lebens zu sein, wie ich es zu Beginn des Gottesdienstes nannte. Und ich denke hierum ging es Paulus. Er sah die Gefahr, dass die Gemeinde in Korinth vor lauter Streiterei ihr Ziel und ihren Zusammenhalt aus den Augen verlieren könnte. Dass es nur noch um Rechthaberei geht. Aber nicht mehr um Jesus Christus. Jesus Christus – auf den wir alle getauft sind. Und der für alle gekreuzigt wurde. Das verdeutlicht der letzte Satz aus der Lesung: Das Kreuz Christi solle nicht um seine Kraft gebracht werden. Die Kraft des Kreuzes. Was heißt das? Nach menschlichem Ermessen ist der Kreuzestod Jesu eine völlige Niederlage. In Demut beugt sich Jesus dem Willen des Vaters: Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe. Er stirbt am Kreuz – grausam, gesellschaftlich geächtet und völlig erniedrigt. Der König der Juden. Gescheitert. Machtlos. Für uns Christen macht aber gerade das die Kraft aus: Durch den Kreuzestod werden die Sünden der Welt hinweggenommen. Durch die Auferweckung des Gekreuzigten siegt das Leben über den Tod. Das Volk, das im Dunkel saß, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen. So haben wir im Evangelium gehört. Nicht Macht und Überlegenheit haben am Ende gesiegt, so wie wir es nach menschlichem Ermessen erwarten würden. Sondern Demut. Jesu Verzicht auf die eigenen Interessen – nur der Wille des Vaters ist wichtig. Was bedeutet das alles nun für uns? Die Anrede als Schwestern und Brüder macht deutlich: Wir Christen sind eine Familie. Mit Gott als Vater und Mutter. Und das Ziel jedes Familienmitglieds ist es – salopp gesagt – am Tag des Jüngsten Gerichts gut da zu stehen. Und ewiges Leben zu erlangen. Das beschreibt Paulus in einem späteren Abschnitt des 1. Korintherbriefs. Als Geschwister sollten wir uns auf dem Weg zu diesem Ziel helfen und gegenseitig unterstützen. Für den Weg zum ewigen Leben gibt es genau ein maßgebliches Vorbild: Jesus Christus. Und dieser Weg führt nicht über die Ausübung von Macht. Sondern über Demut. Damit Sie mich nicht falsch verstehen. Ja, ich glaube, dass es in unserer Kirche mehr Demut braucht. Aber: Die Notwendigkeit von mehr Demut rechtfertigt niemals Demütigung. In Demut muss ich mich selbst üben. Ob und wie sehr ich mich in Demut übe, ist meine freie Entscheidung. Demut ist oft schwierig. Aber sie kommt aus meiner persönlichen Haltung. Demütigung hingegen ist Machtausübung über andere. Demütigung hat keine Demut zur Folge, sondern Verletzung. Und das ist ganz sicher nicht der Weg Jesu. Auch Demütigung bringt das Kreuz Christi um seine Kraft. Seid einer Meinung, Schwestern und Brüder. Das ist nicht die Forderung nach sozialistischer Einheitspartei. Aber es ist die Forderung, dass wir bei Allem was wir sagen und tun nicht vergessen sollten – und auch nicht davon ablenken sollten – was der Kern unseres Glaubens ist. Die frohe Botschaft von Jesus Christus: Das Himmelreich ist nahe.
Diakon Markus Lubert