Am 19. Februar 2023
EVANGELIUM: Mt 5,38-48
Wenn euch einer auf die rechte Wange schlägt, dann haltet ihm auch die andere hin, Brüder und Schwestern! Und wenn euch einer auf die linke Wange schlägt? Was dann? Warum hebt Jesus die rechte Wange hervor? Der amerikanische Theologe Walter Wink hat für den heutigen Auszug aus der Bergpredigt eine interessante Auslegung.* Wie schlage ich jemanden auf die rechte Wange? Das geht eigentlich nur mit dem Handrücken.
Ein Schlag mit dem Handrücken war zur Zeit Jesu ein Schlag, der erniedrigen und herabsetzen sollte. Der Schlagende drückte damit aus: Du stehst unter mir. Du bist nichts wert. Wenn ich dem Schlagenden nun meine linke Wange hinhalte, dann kann er mich nur noch mit der Faust oder mit der Handfläche schlagen. Nach dem gesellschaftlichen Verständnis hätte das bedeutet: Hier wird ein Gleichwertiger geschlagen. Wenn ich dem Schlagenden meine linke Wange hinhalte, zeige ich dem Schlagenden: Ich bin ein Geschöpf Gottes – wie du. Vor Gott sind wir gleich wertvoll. Behandle mich auch so! Ich nehme deine Demütigung nicht länger hin! Zwei Dinge sind hier wichtig: Zum einen antworte ich als Geschlagener nicht mit Gewalt. Hier wird keine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt. Ich liebe meinen Feind, indem ich ihm keine Gewalt antue. Zum anderen hat der Schlagende die Möglichkeit der Umkehr. Ich liebe meinen Feind, indem ich ihm ermögliche, einen besseren Weg einzuschlagen. Die beiden anderen Beispiele aus dem heutigen Evangelium zielen in die gleiche Richtung: - die Herausgabe des Mantels an den, der mir mein Hemd wegnimmt. - Und das Gehen von zwei Meilen mit dem, der mich zwingt, eine Meile mitzugehen. Aber das soll ein andermal erzählt werden. Jesus geht es also nicht darum, dass wir Böses einfach über uns ergehen lassen. Es ist keine Aufforderung, zum Beispiel häusliche Gewalt über sich ergehen zu lassen. Es ist die Aufforderung immer nach dem dritten Weg zu suchen: Einen, der weder das Erdulden von Gewalt, noch die Anwendung von Gegengewalt bedeutet. Aber es ist ein Weg, den ich aktiv gehen muss. Ich wende aktiv mein Gesicht. Wichtig ist, dass die Beispiele nur bei einem gemeinsamen Verständnis von gesellschaftlichen Regeln funktionieren. Nur wenn das Schlagen mit dem Handrücken als Demütigung verstanden wird, und das Schlagen mit der Handfläche als Anerkennung der Gleichwertigkeit, kann ich mit meiner linken Wange zur Umkehr aufrufen. Wenn meinem Gegner aber alles wurscht ist – sein Ansehen, das allgemeine Rechtsverständnis – dann wird er mir mit der Faust mitten in mein Gesicht schlagen. Das erleben wir gerade in der Ukraine: Die russische Regierung interessiert offenbar nicht, was eine UNO-Vollversammlung sagt. Sie interessiert sich nicht für Völkerrecht. Initiativen im Weltsicherheitsrat werden mit einem Veto blockiert. Und bei jeder Gelegenheit wird mit dem Arsenal von Atomwaffen gedroht, um die eigene Unangreifbarkeit herauszustellen. Hier zeigt sich eine weitere Grenze der Bergpredigt: Jesus sagt, wie ich mich verhalten soll, wenn ich angegriffen werde. Was aber, wenn meine Kinder verschleppt oder getötet werden? Wenn die Lebensgrundlage eines ganzen Volkes zerbombt wird? Schaue ich auf die Weltpolitik, dann tue ich mich schwer anhand des Evangeliums sagen zu können, was richtig und was falsch ist. Also schaue ich lieber auf mein eigenes Leben. Auf das, was ich selbst in der Hand habe. Und das ist schon schwierig genug. Lassen wir John aus Nashville, USA zur Sprache kommen. Ich habe das zu Beginn des Gottesdienstes ja schon angedeutet.
John ist obdachlos. Er trifft sich einmal pro Woche mit anderen zur Bibelarbeit. Er erzählt: „Vergangene Nacht war ich im Obdachlosenheim. Heute früh wach ich auf, da hat mir einer die Schuhe geklaut. Hört ihr, was ich sage? Jemand hat mir meine Schuhe geklaut! Also hol‘ ich mein Messer raus. Es ist ein großes Messer und jeder dort weiß, dass ich’s schon gebraucht hab‘ – und auch wieder gebrauchen könnte. Ich hol‘ das Messer raus und geh an den ganzen Tischen lang, weil ich meine Schuhe wiederkriegen will. Und Jim brüllt von der anderen Seite des Zimmers rüber: ‚Denk an das, was wir neulich bei der Bibelarbeit gesagt haben – wenn sie dir den Mantel klauen und du hast noch einen, sollst du den auch noch hergeben. John, steck das Messer ein. Sie haben dir die Schuhe geklaut, gib ihnen auch die Socken.‘ Und ich sag, oh nee, ich geb‘ keine Socken her, ich will meine Schuhe haben! Und ich lauf‘ mit dem Messer herum und will die Schuhe finden. Und Jim brüllt immer weiter, er brüllt: ‚Steck das Messer weg und gib ihnen die Socken.‘ Da hab‘ ich langsam das Messer zusammengeklappt, ganz langsam, aber ich hab’s zusammengeklappt. Ich bin heute barfuß zur Sozialstelle gelaufen und hab um ein Paar Schuhe gebeten. Es ist verdammt schwer, diese Sache zu leben.“
Ja, es ist verdammt schwer, John aus Nashville. Aber wenn sich alle Menschen so sehr bemühen würden wie du – wie hell könnte unsere Welt sein.
Diakon Markus Lubert