Am 02. Juli 2023
LESUNG: Eph 2,1-10
Gestern hat es begonnen. Das berühmteste und bedeutendste Radrennen der Welt. In unserem Nachbarland jenseits des Rheins findet es statt. Drei Wochen lang fahren die Athleten, zwei Ruhetage ausgenommen, täglich, an manchen Tagen mehr als 200 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 40 Kilometern pro Stunde, auf Bergetappen mehrere Tausend Höhenmeter an einem Tag. Der Schnellste gewinnt.
Aber nur, wenn er eine starke Mannschaft hinter sind hat. Kameraden, die für ihn Getränke und Energieriegel vom Begleitfahrzeug holen und nach vorne bringen. Helfer, die ihn im Windschatten oder am Berg ziehen und schützen oder auf dem letzten Kilometer den Sprint für ihn anfahren. Sie opfern sich auf für ihren Kapitän. Auch der Träger des Gelben Trikots ist nichts ohne seine Mannschaft. Das ist wie im richtigen Leben. Die Gemeinschaft zählt. Hunderttausende stehen am Straßenrand. Sie lassen sich begeistern. Sie sind begeistert. Sie begeistern. Das ist wie im richtigen Leben. Echtes Leben ist Begeisterung. Der Platz für die Zuschauer am Straßenrand ist kostenlos. Der Eintritt ist frei für alle. Jede und jeder darf kommen. Einfach so. Das ist wie im richtigen Leben. Was wirklich wichtig ist, das ist mit Geld nicht zu bezahlen, sondern kostenlos, gratis, frei. Gemeinschaft. Begeisterung. Mit Geld nicht zu bezahlen. Das kennen wir auch als Christen in unserer Kirche. Glauben und leben, das geht nur gemeinsam. Wir lassen uns begeistern. Wir sind begeistert (meistens). Wir begeistern andere (zumindest gelegentlich). Was wirklich wichtig ist, das ist mit Geld nicht zu bezahlen, sondern kostenlos, gratis, frei, Gnade. Aus Gnade seid ihr gerettet. Das sagt einer, der in seinem Leben viel auf Tour war. Der Apostel Paulus. Er fragt: Was muss ich tun, damit ich in den Himmel komme? Paulus, der gelernte Pharisäer, versucht es erst einmal auf eigene Faust. Er kennt alle Gebote und Verbote seiner Religion und er versucht, sie zu halten. Er stellt fest: Das kann ich nicht und das muss ich auch nicht, weil einer das schon für mich getan hat: Jesus Christus. An ihn glaube ich. Er schenkt mir die ewige Seligkeit. Umsonst. Gratis. Aus Gnade bin ich gerettet. Trotzdem darf ich nicht die Hände in den Schoß legen, die Beine hochlegen. Nein. Sagt Paulus. Ich muss schon auch meinen Teil dazu beitragen, damit es voran geht, damit ich das Ziel erreiche. Das ist wie bei diesem Fahrrad mit dem Elektromotor, umgangssprachlich E-Bike genannt. Der Motor an sich macht gar nichts. Er bewegt sich erst, wenn der Radler in die Pedale tritt. Erst dann entfaltet der Motor seine Kraft. Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie. Ich muss schon meinen Teil dazu beitragen, damit ich das Ziel erreiche. Den Platz auf dem Podest. Das Siegertreppchen unter dem Arc de Triomphe, auf den Champs Élysées. Es soll Menschen geben, die in ihrer Freizeit freiwillig mit dem Rennrad die Berge der Tour de France fahren. Die großen Vier: Galibier. Alpe d´Huez. Mont Ventoux. Tourmalet. Die Cime de la Bonette ist die höchstgelegene asphaltierte Passstraße der Alpen. 2808 Meter über dem Meeresspiegel gelegen. Auf dem letzten Stück dieser Bergstrecke überholt mich ein Kleinwagen. Die junge Fahrerin winkt durch das offene Fenster, sie lacht und ruft mir zu: Bon Courage! Viel Glück! Das wünsche ich uns allen auf unserer Tour des Lebens: Viel Glück! Bon Courage!
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner