Am 21. September 2025
Die Großglockner-Hochalpenstraße ist eine der schönsten Touristenstraßen in Österreich. Sie verbindet das Bundesland Salzburg im Norden mit dem Bundesland Kärnten im Süden. Die Straße ist auf der Nordseite 32 Kilometer lang. Sie hat 1900 Höhenmeter. Ihr höchster Punkt liegt auf 2504 Metern über dem Meer. Sie hat lange Passagen mit 12% Steigung. Sie kann auch mit dem Rad befahren werden. Das ist ein hartes Stück Arbeit. Dabei wurde ich immer wieder überholt, nicht nur von Autos, sondern auch von Radfahrern. Einer hat mich besonders beeindruckt, ein Jugendlicher. Er saß nicht auf dem Sattel. Er stand in den Pedalen. Ganz locker zog er an mir vorbei, im Wiegetritt. Oben am Pass habe ich ihn angesprochen. Ich habe ihm gratuliert. Wie locker er da hinaufgefahren ist. Ich habe ihn gefragt: Wie alt bist du? 15 Jahre. Was wiegst du? 45 Kilogramm. Er hat gestrahlt. Er stand neben mir. Er war gut einen Kopf kleiner als ich. Klein und leicht. So fährt man locker den Berg hinauf. Manchmal sind kleine Leute halt im Vorteil. Napoleon lässt grüßen. Manchmal sind kleine Leute im Vorteil. Einer begegnet uns heute im Evangelium: Zachäus. Jedes Kind kennt ihn und seine Geschichte. Er ist klein von Gestalt. Das ist für ihn erst einmal von Nachteil. Er möchte Jesus sehen, der vorbeikommt. Doch eine große Menschenmenge versperrt ihm die Sicht So steigt er halt auf einen Baum. Jetzt kann er Jesus sehen. Jetzt kann Jesus ihn sehen. Wäre das auch so gekommen, wenn Zachäus nicht klein von Gestalt gewesen wäre, wenn er nicht auf einen Baum gestiegen wäre? Jesus sieht ihn, Zachäus, den Zollpächter. Jesus sieht auch sein schlechtes Gewissen. Die Leute mögen Zachäus nicht. Er arbeitet für die Römer, für die Besatzungsmacht. Für die zieht er die Steuern ein und noch etwas mehr, in seine eigene Tasche. Zachäus ist reich und er hat ein schlechtes Gewissen. Jesus sieht das, spricht ihn an: Zachäus, steig schnell vom Baum herab. Heute muss ich bei dir zu Gast sein. Zachäus wird verwandelt und rehabilitiert. Er verspricht, ungerecht erworbenes Geld zurückzugeben. Er ist ein neues Mensch geworden, Zachäus, der Mann von kleiner Gestalt. Manchmal sind die Kleinen im Vorteil. Ich denke an den Gottesdienst in Jungingen, zur 750-Jahr-Feier, am 29. Juni, im Festzelt. Unsere Sorge im Vorfeld war: Würde da überhaupt jemand kommen, am Sonntagmorgen? Die Sorge war unbegründet. Das Festzelt war voll. Die Seitenwände waren geöffnet. Auch draußen saßen Menschen und feierten mit. Die Stars aber waren die Kinder aus dem Kindergarten. Sie saßen auf der Bühne. Sie sangen ihr Lied: Wir sind die Kleinen in den Gemeinden. Die Herzen flogen ihnen zu. Manchmal sind die Kleinen im Vorteil. Gilt das auch für unsere Kirche, für unsere Gemeinden? Wir werden kleiner. Evangelische und katholische Christen zusammen sind in Deutschland weniger als 50% der Bevölkerung. Wir sind die Minderheit. Ist das schlimm? In unserer Diözese Rottenburg Stuttgart sind wir noch 1,6 Mio. Katholiken. Vor einigen Jahren waren wir 2 Millionen. Und nicht nur die Herde schrumpft, auch die Zahl der Hirten geht zurück. In unserer Diözese wurden in diesem Jahr zwei neue Priester geweiht. Kirche und Glaube schrumpfen, vermutlich auch in der evangelischen Kirche. Was sind die Gründe? Tun wir zu wenig? Tun wir das Falsche? Religionssoziologen sagen: Die Gründe für den Rückgang liegen nicht in der Kirche, sondern außerhalb, in der Gesellschaft. Es sind vier Gründe: Urbanisierung und Individualisierung. Immer mehr Menschen leben in Städten, oft eine Person in einer Wohnung. Keiner kennt den anderen. Wohlstand. Viele sind reich. Sie haben Geld. Wozu braucht man da noch den Glauben an Gott und die Kirche? Ich kann mir doch kaufen, was ich brauche. Das Freizeitangebot, es ist riesig, an Sonntagen, an Feiertagen. Wozu noch in die Kirche gehen? Die Bedeutung von Glauben und Kirche geht zurück, bei uns in Deutschland, in den Industrieländern, nicht aber weltweit. In Afrika und in Asien boomt die Kirche. Bei uns wird sie kleiner. Ist das schlimm? Ganz am Anfang, in den ersten Jahrhunderten, da waren wir Christen eine kleine Minderheit im römischen Weltreich. Das war aber nicht von Nachteil. Christen waren gleichsam das Salz in der Suppe. Ein wenig genügt. Es waren kleine Gemeinden, kleine Gemeinschaften. Man kannte sich. Man traf sich. Man hielt zusammen. Man half nicht nur den eigenen Leuten, sondern auch den Fremden. Das sprach sich herum. Das zeigte Wirkung. Das überzeugte die Menschen. Kleine Gemeinschaften. Da treffen wir uns. Wir kennen einander. Wir halten zusammen. Wir helfen nicht nur den eigenen Leuten, sondern auch den Fremden. Das können wir, evangelische und katholische Christen gemeinsam, ökumenisch. Jeder bringt ein, was er hat und kann, unterschiedliche Gaben, Charismen. Gemeinsam sind wir stark. Wir werden kleiner. Das muss kein Schaden sein, im Gegenteil. Manchmal sind die Kleinen im Vorteil. Das zeigen uns heute Zachäus und Jesus.
Pfarrer Dr. Bernhard Lackner
Bildnachweis
- Zachäus auf dem Baum - Ganzjahreskrippe des Künstlers Raul Castro, Gästehaus Kloster Heiligenbronn
- Junginger Kinder singen zur 750 Jahrfeier