In der Kunsthalle Weishaupt in der Neuen Mitte hier in Ulm werden derzeit Bilder von Ben Willikens gezeigt. Ben Willikens. In Leipzig wurde er geboren. 1939. Als Kind erlebte er die Bombardierung und Zerstörung seiner Heimatstadt im Zweiten Weltkrieg. Dieses Erlebnis, dieses Trauma, verarbeitet er in seinen Bildern. Genauso wie das Trauma der deutschen Gesellschaft nach der Katastrophe. Nationalsozialismus. Zweiter Weltkrieg. Ben Willikens malt große Formate. Er verzichtet fast ganz auf bunte Farben. Er malt in Grau, in Weiß und in Schwarz. Es gibt in seinen Bildern keine Menschen und fast keine Natur. Er malt vor allem eines: Leere Räume. Räume in Anstalten. Betten. Bahren. Waschbecken. Räume des National-sozialismus. Einen Flur in der Reichskanzlei in Berlin. Räume des Schreckens. Am berühmtes-ten ist seine Darstellung des Abendmahls. Ein leerer Raum. An den Seiten Stahltüren. Verschlossen. In der Mitte ein Tisch. Darauf ein weißes Tischtuch. Sonst nichts. Keine Speisen. Keine Getränke. Und vor allem keine Menschen. Kein Jesus. Keine Apostel. Leere Räume. Weiß und grau. Faszinierende Perspektiven. Architektur pur. Das beeindruckt im ersten Mo-ment. Doch dann kommt die Irritation. Die Verstörung. Leere Räume. Kalt. Steril. Die Welt – eine Anstalt. Der Mensch – ein Insasse. Angst stellt sich ein. Die Angst, allein zu sein. Verlassen von den Menschen und von Gott. Die Angst, allein zu sein. Geworfen in eine kalte Welt. Spuren von Hoffnung? Sie sind kaum zu sehen. Aber sie sind da. In einem Schlafsaal. An der Wand. Ein Heiligenbild. Verblasst. Nur Umrisse. Im Bild vom Abendmahl im Hintergrund. Weißes Licht von oben. Ein kleiner Fingerzeig. Ein Rest von Transzendenz. Licht von oben. Ein Zeichen. Hoffnung. Gegen die Leere. Gegen die Angst.

Habt keine Angst! Das sagte Papst Johannes Paul II. den Menschen immer wieder. Unvergessen. Habt keine Angst! Dieses Wort könnte über der heutigen Lesung stehen. Sie ist aus der Ge-heimen Offenbarung des Johannes entnommen. Die Geheime Offenbarung. Die Apokalypse. Wer darin liest, könnte Angst bekommen. Da werden schreckliche Dinge angekündigt. Kriege. Hungersnöte. Naturkatastrophen. Unwetter. Erdbeben. Sterne fallen vom Himmel. Ein Drache und vielerlei andere Untiere werden losgelassen. Apokalyptische Bilder. In den vergangenen 2000 Jahren haben Menschen diese Bilder immer wieder betrachtet. Dieses Buch immer wieder gelesen. Sie haben sich gefragt: Wird hier das Ende der Welt angekündigt? Ein Ende mit Schrecken? Ein furchtbares Gericht? Steht dieses Gericht, dieses Ende unmittelbar bevor? Müssen wir uns davor fürchten? Vor Angst vergehen? Was sagt die Apokalypse? Zu wem spricht sie? Das Buch der Offenbarung wurde am Ende des ersten Jahrhunderts geschrieben. Es war eine schwere Zeit. Christen wurden verfolgt. Der römische Kaiser verlangte, dass seine Untertanen ihn als „Herr und Gott“ anredeten und verehrten. Den Kaiser an die Stelle Gottes setzen – das war ein Verstoß gegen das erste Gebot. „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ Den Kaiser als Gott verehren, dazu waren die Christen nicht bereit. Deshalb wurden sie verfolgt, eingesperrt, ermordet. Viele waren auf der Flucht. Johannes, der Seher, der die Apokalypse geschrieben hat, er wurde auf die griechische Insel Patmos im Ägäischen Meer verbannt. Die Christen damals, sie wussten nicht, wie es weiter gehen würde. Für sie wurde das Buch der Offenbarung geschrieben. Darin konnten sie lesen: Eure Not ist groß. Die bösen Mächte, die euch verfolgen, sie sind stark. Aber am Ende, da werden sie nicht gewinnen. Einer ist stärker als sie. Er wird sie besiegen. Ja, er hat sie schon besiegt. Alles wird gut. Gott selber sorgt dafür. In seinem Sohn Jesus Christus. „Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm“ für alle, „die aus der großen Bedrängnis kommen“. Ein wunderschönes Bild erscheint. Eine Vision. Die Verfolgten, die Geretteten, sie versammeln sich im Himmel vor dem Thron Gottes. 144 000 aus dem Volk Israel. Je 12 000 aus jedem der zwölf Stämme des Gottesvolkes. Eine Zahl der Fülle. Dazu eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen. Niemand kann sie zählen. So viele sind es. Eine glanzvolle Versammlung. Ein tröstliches Bild. Die Geheime Offenbarung. Sie will den Christen nicht Angst machen. Sie will vielmehr Hoffnung geben. Kraft. Mut und Trost. Haltet aus! Die Rettung wird kommen. Keiner geht verloren. Am Ende wird alles gut. Habt keine Angst! Habt keine Angst! Dieses Wort gilt den verfolgten Christen damals und es gilt auch uns heute. Zwar befinden wir uns nicht unmittelbar in einer Christenverfolgung. Zumindest nicht hier in Deutschland. Wobei es in anderen Ländern durchaus schlimme Verfolgungen gibt. Christen müssen fliehen. Ihre Heimat verlassen. Doch auch in unserem Lebensumfeld ist die Not bisweilen groß. Bedrängend. Eine Krankheit bedroht das Leben. Das eigene Leben oder das eines lieben Menschen. Der Arbeitsplatz ist gefährdet. Es gibt Probleme in der Familie. Mit den Kindern. Mit dem Ehepartner. In unserer Kirchengemeinde werden die Aufgaben immer mehr. Wir, die wir in der Kirche mitarbeiten, werden weniger, und jünger werden wir ja auch nicht. Ehrenamtliche und Hauptberufliche. Wie geht es weiter? Wir hören die Botschaft der Geheimen Offenbarung. Einer ist stärker als Mächte und Gewalten. Er sorgt dafür, dass am Ende alles gut wird. Wir sehen die Bilder der Offenbarung. Bilder der Hoffnung und des Trostes. Eine glanzvolle Versammlung der Geretteten im Himmel vor dem Thron Gottes. Ich wünsche uns, dass wir diese oder ähnliche Bilder zur Hand haben, wenn wir sie brauchen. „Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm.“ Habt keine Angst!

 

Pfarrer Dr. Bernhard Lackner