Liebe Gemeinde,
zu Advent und zu Weihnachten ist doch schon so vieles gesagt worden. Was soll ich ihnen heute neues dazu erzählen? Der Text der Lesung ist auch nicht wirklich neu. Im 8. Jahrhundert vor Christi Geburt malt Jesaja ein kraftvolles Bild der Hoffnung auf Gottes Reich. Die jesajanische Vision ist eine „Perle der hebräischen Poesie“, wie ein Kommentator formuliert. Bemerkenswert ist die Vielfalt, Treffsicherheit und Ungezwungenheit der Bilder. Endlich Frieden. Keine Bedrohung mehr durch unterdrückende Mächte von außen, keine Bedrohung mehr durch Selbstbezogenheit, Irrtümer und mangelnde Erkenntnis von innen, sondern Frieden. Ein Friede, der das Verhältnis von klein und groß, von Schwachen und Starken auf den Kopf stellt und uns ganz neue Spielregeln des Lebens und der Schöpfung vor Augen führt. All dies erwarten mit Jesaja die Juden vom Kommen des Messias. Jesus erfüllt diese Hoffnung so nicht. Das müssen wir 2000 Jahre nach der Geburt in Bethlehem eingestehen. So viele Flüchtlinge, Krieg in der Ukraine, Syrien, Irak, Drogenkriege in Lateinamerika, bewaffnete Konflikte in Afrika….. Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, anwachsende Fremdenfeindlicheit – nein unsere Gegenwart entspricht nicht der Vision des Jesajas.
Manchmal retten sich christliche Theologen aus dieser misslichen Lage, in dem sie vom Frieden im Inneren sprechen. Diesen inneren Frieden kann eine lebendige Beziehung zu Jesus tatsächlich entstehen lassen, wenn auch oft nur für kurze Augenblicke. Dieser innere Friede zeichnet viele große Vorbilder im Glauben aus. Er ist wertvoll und unbezahlbar. Und doch ist er nur eine Seite des Friedens den der Messias auf die Erde bringen soll. Weder das Leben Jesus noch die Vision des Jesajas lassen sich auf den inneren Seelenfrieden von Gläubigen reduzieren, während die äußeren Verhältnisse weiterhin katastrophal bleiben Wer Wasser zu Wein verwandelt, wer den verstorbenen Freund aus dem Grab zurückruft, dem liegen offensichtlich die äußeren Verhältnisse auch am Herzen. Die Vision des Jesajas hat eine ganz und gar irdische Dimension: Die Schöpfung wird miteinbezogen, das ganze Land wird voll Erkenntnis des Herrn sein, nirgends wird man mehr Gottes Gebote missachten – und zwar hier, auf dieser alten und müde gewordenen Erde, nirgendwo sonst. Erkenntnis, Weisheit und Verstand werden sich endlich durchsetzen und Dummheit, Hochmut und mangelnder Einsicht ein Ende bereiten. Welch eine Vision! Für uns Christen ist Jesus der Messias, der Friedensfürst. Aber er hat nur den Beginn des Reiches Gottes eingeläutet und noch nicht die Vollendung, die Jesaja preist. Im Advent warten wir jedes Jahr neu auf Weihnachten, das Fest der Liebe. Auch wenn die Werbung uns einredet, man könnte diese Liebe, sei es als Pralinen oder „gemeinsamzeit“ kaufen, einpacken und verschenken. So meint sie doch viel mehr, wir alle sind berufen Teil zu haben, an Gottes Liebe zu seiner Schöpfung und an seinem gerechten Tun. Dieses „Tun des Gerechten“, das Bonhoeffer als Kerntugend des Christseins bezeichnet, ist mehr als eine Spende von Geld: nämlich Ausdruck der Wertschätzung eines Menschen, die Anerkennung seiner Ebenbürtigkeit. Von Weihnachten geht ein starker Impuls aus: Im Stall von Bethlehem versammelte sich das Volk aus der Unterschicht; die hohen Herren aus Morgenland mussten sich tief herab beugen, und sie haben es getan. Nur so konnten sie Gott nahe kommen, der sich zuerst herabgebeugt hat zu uns, zur Welt, zu den Armen – als Kind in einer Krippe. So wurde Weihnachten zum Anfang einer neuen Herrschaft der Gerechtigkeit, und zur Hoffnung für viele, weit über das Fest hinaus. Im neu begonnenen Kirchenjahr ist unser Jahresthema „Kirche am Ort, Kirche an vielen Orten gestalten.“ Wir steigen damit ein in eine pastorale Umstrukturierung unserer Diözese. An erster Stelle soll die (Rück-) Besinnung auf den Glauben stehen. ... so soll es laut dem Leitfaden gehen: Sich anstecken lassen von zentralen Geistlichen Haltungen „vertrauen, lassen, erwarten, wertschätzen“ Sich einlassen auf die Lebenswirklichkeiten aller Menschen und darin Gott entdecken. So soll Wandel möglich werden. Und Wandel ist aus vielen Gründen nötig, es sind immer weniger Menschen bereit hauptberuflich in dieser Kirche zu arbeiten, auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter werden weniger. Viele Menschen finden keinen Zugang zu unseren Gottesdienstformen. Auch können wir nicht zusehen, dass das christliche Abendland von Menschen angeblich beschützt wird, die auf den Grundwerten des Christentums mit Stiefeln herum trampeln. Wir müssen unsere christliche Sicht einbringen in gesellschaftliche Umbrüche. Dieses Feld dürfen wir nicht Populisten und Wirtschaftslobbyisten allein überlassen. Die Vision des Jesaja entspricht nicht der Wirklichkeit, sondern es ist vielmehr ein Gegen-Bild gegen die Gegenwart und auf diese Weise ein Protest Gottes gegen sie in ihrem So-Sein. Es zeigt, dass sich Gott nicht mit dieser Realität abfindet, sondern mit diesem verheißungsvollen Bild dagegen machtvoll protestiert. „Gerechtigkeit“ ist Wesenszug Gottes . Es geht nicht um abstrakte Rechtsnormen, sondern um eine Grundausrichtung, und das heißt vor allem um Gerechtigkeit zugunsten der „Armen“ und der „Elenden“. Auch in unserer weithin entkirchlichten Gesellschaft scheint durchaus ein Empfinden dafür vorhanden zu sein, dass Weihnachten mit den verschiedenen Spielarten sozialen Unrechts nicht zusammenpasst. Verstärkt werden die Fürsorgemaßnahmen für Obdachlose und Asylsuchende, für psychisch Kranke und politisch Verfolgte, für Aidsopfer und Straßenkinder. Spendenbitten erreichen uns jetzt häufiger als zu irgendeiner anderen Zeit des Jahres. Weihnachten lässt die Ungerechtigkeiten deutlicher als sonst im Licht erscheinen.: Ich finde es gut, dass wir gerade in dieser Zeit anfangen, zu überlegen, welches Gesicht der Teil der Kirche haben soll, für den wir hier miteinander in Böfingen und Jungingen Verantwortung tragen. Jetzt, wo wir feiern: Gott bleibt nicht in sicherer Distanz oben, sondern kommt selbst zu uns herab. Im Christuskind erscheint Gottes klares und wirksames Nein gegen allen Fatalismus und gegen bleibende Dunkelheit. Jesus entzündet die Herzen der Menschen und befähigt sie, auch in scheinbar ausweglosen Situationen Hoffnung zu verbreiten und zu handeln. Man kann etwas tun! Solange unsere Wirklichkeit hinter der Vision des Jesaja zurückbleibt ist eben doch nicht alles zu Weihnachten gesagt. Advent heißt immer wieder neu, bereit werden für das Kommen des Sohnes Gottes, bereit zu werden, sich selbst einzusetzen für den Frieden im Großen und Kleinen. Mit den Worten des Jesuiten Theo Schmidkonz möchte ich schließen: Jesus, Freund des Friedens, wenn wir stürmisch rufen: Gib uns den Frieden, antwortest du lächelnd: Schenkt ihr einander Frieden! Verschrottet eure Waffen des Neids, des Hasses, der Gleichgültigkeit. Reicht euch die Hände, versöhnt eure Gegner und lernt von mir: Ich bin zärtlich und gut. Ich liebe die Menschen. Und Liebe - schafft Frieden. Schalom! Der Friede sei mit euch!
Elisabeth Urhahn
Einige Gedankengänge sind entnommen aus Predigten von Prof. Dr. Isolde Karle und Prof. Dr. Jürgen Ziemer, veröffentlicht auf der Seite Göttinger Predigten im Internet.