am 10. Mai 2018
Predigt am Festtag Christi Himmelfahrt
Lesung: Weish. 8, 5-7
„Ich bin das Licht. Ich leucht euch für mit heilgem Tugendleben.“ So haben wir gesungen. „Ich leucht euch für mit heilgem Tugendleben.“ Tugend – dieses Wort gebrauchen wir in unserem Alltag eher selten. Doch die Sache, um die es geht, die kennen wir. Wir sind in unserem Lebensstil geprägt durch Grundhaltungen, Tugenden. Tugenden sind Haltungen, die uns helfen, gut zu leben. Wir kennen vier Kardinaltugenden. Das Wort Kardinaltugend kommt vom lateinischen Wort „cardo“, was so viel heißt wie „Türangel, Dreh- und Angelpunkt“.
Die Kardinaltugenden öffnen uns die Tür zum Leben. Wir kennen vier Kardinaltugenden. Diese sind: Die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit, das rechte Maß. Wir finden sie in der Bibel, in der Philosophie und bei den großen Theologen der Kirche. Heute schauen wir uns die zweite Kardinaltugend an, die Gerechtigkeit. Gerechtigkeit – was ist das? In der Kunst wird sie gerne dargestellt als Frau. In der einen Hand hält sie eine Waage, in der anderen ein Schwert, und ihre Augen sind verbunden. Die Gerechtigkeit, sie wägt ab, was einer verdient hat. Dafür steht die Waage. Die Gerechtigkeit bestraft die Bösen, sie belohnt die Guten und sie beschützt die Schwachen. Denn die können sich nicht selbst wehren. Zeichen dafür ist das Schwert. Die Gerechtigkeit kennt kein Ansehen der Person. Alle werden gleich behandelt. Deshalb sind ihre Augen verbunden. Der römische Schriftsteller Cicero schreibt: Gerechtigkeit ist die Tugend, die jedem das Seine zuteilt. Jedem das Seine, jeder bekommt, was ihm zusteht. So weit, so gut. Aber, was steht einem zu? Soll jeder bekommen, was er verdient hat? Wer mehr arbeitet, wer mehr leistet, der bekommt mehr, mehr als einer, der weniger arbeitet, mehr als einer, der weniger leistet? Und wie ist das vor Gericht? Wer einen Mord begeht, der bekommt Lebenslänglich. Wer nur einen Apfel geklaut hat, der zahlt eine Geldstrafe. Jeder bekommt, was er verdient hat. Jedem das Seine. Dieses Prinzip leuchtet ein im Bereich der Arbeit, der Wirtschaft, der Justiz. Die Bibel kennt noch eine andere Form der Gerechtigkeit. Denken wir an das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Ein Gutsbesitzer lässt Tagelöhner in seinem Weinberg arbeiten. Die einen arbeiten den ganzen Tag, zwölf Stunden. Andere neun. Wieder andere sechs Stunden. Die letzten nur eine Stunde. Am Abend bekommen alle den gleichen Lohn. Ist das nicht ungerecht? Der Gutsbesitzer sagt: Nein, es ist gerecht. Warum? Weil alle Arbeiter den Tageslohn brauchen, damit sie und ihre Familien leben können, überleben können. Ein Tageslohn reicht gerade aus, um das Essen für einen Tag zu kaufen. Also bekommen alle den vollen Lohn. Das ist gerecht, sagt der Gutsbesitzer, sagt Jesus, sagt Gott. Bei einer Reise nach Israel vor vielen Jahren habe ich Folgendes gehört: In einem Kibbuz gilt die Regel: Wenn ein Rentner mehrere Enkelkinder hat, sagen wir fünf, dann bekommt er etwas mehr Rente als der Rentner, der nur ein Enkelkind hat. Warum? Weil man mit fünf Enkelkindern mehr Verpflichtungen hat. Geburtstagschenke für fünf Enkel kaufen, das ist teurer als ein Geschenk für ein Kind. Das ist Gerechtigkeit nach dem Maßstab der Bibel. Jeder bekommt, was er braucht. Jedem das Seine. Die Gerechtigkeit, sie ist die zweite der vier Kardinaltugenden, neben der Klugheit, der Tapferkeit und dem rechten Maß. „Ich bin das Licht. Ich leucht euch für mit heilgem Tugendleben.“ Sagt Jesus Christus im Kirchenlied. Er zeigt uns den Weg zu einem guten Leben. Er hilft uns, den Weg zu gehen. Er geht vor. Pfarrer Dr. Bernhard Lackner