Am 24. September 2023

leitartikel sw

EVANGELIUM: Mt 20, 1–16

Bei uns in der katholischen Kirche in Böfingen und in Jungingen feiern wir an diesem Sonntag den Caritas-Sonntag. Caritas – Nächstenliebe – das ist ein Gebot, das Gebot, das wichtigste, zusammen mit dem Gebot der Gottesliebe. Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist uns aufgetragen, jedem Einzelnen und der Kirche als ganzer.

Caritas – Nächstenliebe – das ist eine der drei großen Aufgaben der Kirche, neben der Verkündigung des Evangeliums und der Feier des Gottesdienstes. Damit wir das nicht vergessen, gibt es in der Kirche das Amt des Diakons. Er erinnert uns daran: Wir helfen Menschen, die in Not sind. Wir helfen Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Caritas – das ist auch der Name eines großen katholischen Hilfswerks. Diakonie ist das evangelische Pendant. Diakonie und Caritas leisten wichtige Arbeit für Menschen in Not hier in unserem Land und in der ganzen Welt. Caritas und Diakonie gehören zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Finanziert werden unsere Hilfswerke auch durch Kirchensteuern und andere Staatsleistungen. Immer wieder wird gefordert: Kirchensteuern und Staatsleistungen müssen abgeschafft werden. Warum ist das nicht schon längst geschehen? Politiker und politisch Interessierte, die sich genau informieren, wissen es: Wenn Kirchensteuern und Staatsleistungen gestrichen werden, dann trifft das vor allem die Gesellschaft selbst und in der Gesellschaft die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Wenn die Kirche weniger finanzielle Mittel hat, dann muss sie sich aus sozialen Diensten zurückziehen. Kindergärten, Altenheime, Schulen für soziale Berufe, Beratungsstellen für Suchtkranke, für psychisch Kranke, für Schwangere in Not, für Arme, all das muss der Staat dann allein machen. Ob er das schafft? Genauso gut? Eine Kirche ohne Kirchensteuer wird überleben. Um sie müssen wir uns keine Sorgen machen. Sorgen müssen wir uns machen im Blick auf die vielen sozialen Aufgaben in dieser Gesellschaft. Wer macht das dann? Unsere moderne Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Wer es zu etwas bringen will, wer anerkannt werden will, der muss Leistung bringen. Das ist im Prinzip auch richtig: Wer sich anstrengt, wer etwas leistet, wer gute Arbeit macht, der hat ein Recht auf seinen Lohn. Was ist aber mit denen, die keine Leistung bringen? Keine Leistung bringen können? Weil sie krank sind oder alt oder noch ganz jung? Fallen sie einfach durch das Raster? Was ist mit denen, die aus ihrer Heimat fliehen vor Not und Krieg? Überlassen wir sie einfach ihrem Schicksal? Selbst schuld? Wir hören das Evangelium, das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Das ist ein starkes Stück, was uns Jesus da erzählt. Die Arbeiter im Weinberg. Es ist eine Provokation. Die einen haben den ganzen Tag gearbeitet, von morgens 6 Uhr bis abends 18 Uhr. 12 volle Stunden Hitze, Staub, Anstrengung, harte Arbeit. Sie bekommen den üblichen Tageslohn, einen Denar, wie ausgemacht. Die anderen haben nur eine Stunde gearbeitet, kurz vor Feierabend, von 17 Uhr bis 18 Uhr. Sie bekommen auch einen Denar. Ist das gerecht? Das kommt auf den Standpunkt an. Wenn wir auf der Seite der Arbeiter sind, die 12 Stunden gearbeitet haben, dann sind wir verärgert. Wir fühlen uns ungerecht behandelt. Aber, sind wir denn immer auf dieser Seite? Volle Leistung 12 Stunden? Stehen wir nicht auch gelegentlich auf der anderen Seite? Wir haben nur wenig geleistet. Wir können nur mit wenig Lohn rechnen und bekommen doch die volle Summe ausbezahlt? Dann freuen wir uns. Ob das gerecht ist oder nicht, das interessiert dann nicht so sehr. Ich denke, im Leben gibt es oft diesen Ausgleich. Einmal sind wir bei denen, die 12 Stunden rackern. Einmal sind wir diejenigen, die 9 oder 6 Stunden beschäftigt sind. Bisweilen aber kommen wir in der letzten Stunde, auf den letzten Drücker und bekommen doch, was wir zum Leben brauchen. Ich glaube und ich hoffe, dass es diesen Ausgleich gibt in unserem Leben. Ich wünsche uns, dass wir nicht nur sehen, wenn wir auf der Seite der Ganztagesarbeiter stehen und uns ärgern. Ich wünsche uns, dass wir auch wahrnehmen, wenn wir etwas geschenkt bekommen, wenn wir nur wenig leisten und doch belohnt werden. Vieles von dem, was wir im Leben einfach so empfangen, das nehmen wir gar nicht mehr wahr. Es scheint alles so selbstverständlich zu sein: die Zuwendung anderer Menschen, der Arbeitsplatz, die schöne Wohnung, das gute Essen auf dem Tisch, die Kleidung, in der wir uns wohlfühlen, die schöne Musik im Radio, das spannende Buch, das wir nicht mehr aus der Hand legen, der Gottesdienst, den wir zusammen feiern. Uns widerfährt so viel Gutes. Haben wir Augen dafür? Haben wir ein dankbares Herz? Machen wir uns bewusst, woher all die guten Gaben kommen? Von wem? Gott ist gerecht. Aber nicht so, wie wir Menschen gerecht sind. Er ist größer. Er ist auf seine Weise, auf göttliche Weise, gerecht. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Sein letztes Wort im Evangelium lautet: Weil ich gut bin. Er ist gut. Können wir das auch: Gut sein?

Pfarrer Dr. Bernhard Lackner