Am 20. Oktober 2024

golden sw

Im Heiligen Jahr 2000 bin ich mit Ministranten von Leutkirch nach Rom gefahren, mit dem Fahrrad über die Alpen. Einer meiner Oberminis, er ist heute Mathematikprofessor in Norwegen, er hat vor unserer Pilgerreise Weihbischof Renz in Rottenburg angerufen und ihn gefragt, ob er jemand kennt, der uns in Rom ein wenig helfen könnte. Weihbischof Renz hat mir eine Telefonnummer gegeben, von einem Studienkollegen.

Der arbeitet im Vatikan, im Staatsekretariat. Den soll ich anrufen, wenn wir in Rom sind. Das habe ich gemacht. Wir haben uns auf dem Petersplatz getroffen. Wir haben miteinander geredet. Er sagte: Ich schau mal, was ich für euch machen kann. Anschließend konnte ich im Pilgerbüro unsere Karten abholen für die Papstaudienz auf dem Petersplatz. Da sind wir am nächsten Tag hingegangen. An der ersten Kontrollstelle haben wir unsere Karten gezeigt und wurden durchgewunken, ebenso an der zweiten Kontrolle. Zuletzt saßen wir vorne auf der Plattform. In der Mitte der Papst. Rechts von ihm, nur wenige Meter entfernt, wir. Papst Johannes Paul II. hat uns in seiner Ansprache begrüßt. Am nächsten Tag standen wir im Osservatore Romano. Gute Plätze, beste Plätze, darum geht es auch im wirklichen Leben, in der Familie. Eltern sagen: Wir behandeln alle unsere Kinder gleich. Keines wird bevorzugt. Stimmt das? Hat nicht die Mama ihren Lieblingssohn und der Papa seine Lieblingstochter? Richtig heftig wird es, wenn Papa und Mama nicht mehr da sind, wenn es ans Erben geht, wenn das Testament eröffnet wird. Du wurdest schon immer von den Eltern bevorzugt. Für dich hat man immer neue Kleider gekauft und ich musste deine alten Klamotten auftragen. Du hast Klavierunterricht bekommen, ich nicht. Du durftest aufs Gymnasium gehen und studieren, ich nicht. Gute Plätze, beste Plätze. Wer darf aufs Gymnasium? Wer darf studieren? Wer bekommt den guten Job, das große Haus, das große Auto? Kinder aus wohlhabenden Familien, Kinder, deren Eltern Akademiker sind, sie haben bessere Chancen, sie machen Abitur, sie studieren, sie machen Karriere. Das stimmt und es stimmt doch nicht. Ich kenne eine türkische Familie. Die Eltern hatten in der Türkei nur wenige Jahre die Grundschule besucht. Sie kamen als sogenannte Gastarbeiter zu uns. Beide haben ein Leben lang hart gearbeitet, in der Industrie, am Band, Schicht, Akkord. Zuerst haben sie zur Miete gewohnt. Dann haben sie sich ein Siedlungshäuschen gekauft. Die Kinder haben Abitur gemacht und studiert. Die Tochter ist Lehrerin, ein Sohn ist Arzt. Gute Plätze, beste Plätze, darum geht es auch im Evangelium. Zwei Jünger, Jakobus und Johannes, sie wollen neben Jesus sitzen, rechts und links von ihm. Was sagt er dazu? Wisst ihr eigentlich, um was ihr da bittet? Könnt ihr das leisten, was ich leiste? Sie antworten: Wir können es, yes we can. Was leistet Jesus? Er ist gekommen, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Genau darum geht es, damals und heute. Den guten Platz einnehmen heißt: dienen. Der Arzt ist für seine Patienten da, wenn nötig rund um die Uhr. Er kennt keine 35-Stunden-Woche. Eltern, beide sind berufstätig, gleichzeitig sorgen sie für ihre Kinder, rund um die Uhr. Sie kennen keine 35-Stunden-Woche. Und auch der Pfarrer, der versucht, eine Seelsorgeeinheit mit mehreren Pfarreien zu leiten, er hat keine 35-Stunden-Woche. Die guten Plätze, die besten Plätze. Wo sind sie? Wer bekommt sie? Sich nicht bedienen lassen, sondern dienen. Übrigens, der Mitarbeiter im Vatikan, im Staatssekretariat, der uns die Karten besorgt hat für die Papstaudienz, er heißt Dr. Bertram Meier. Er ist heute Bischof von Augsburg.


Pfarrer Dr. Bernhard Lackner