Was heißt aber „Armut“? Armut bei uns ist natürlich nicht vergleichbar mit Armut in Ländern wie Indien. Bei uns gilt jemand als arm, der – kurz gesagt – fürs Leben Hilfe vom Staat braucht. Wer bei uns arm ist, muss nicht verhungern. Wer bei uns arm ist, muss nicht nackt herumlaufen. Wer bei uns arm ist, kann trotzdem ein Dach über dem Kopf haben. Viel mehr aber auch nicht. Bei uns bedeutet Armut vor allem: Armut an gesellschaftlicher Teilhabe, Armut an Chancen. Ein Kind, das in eine arme Familie geboren wird, wird als Erwachsener bis ins hohe Alter wahrscheinlich selbst arm sein. Das Kind erhält zu Hause oft keine Förderung, bekommt – wenn überhaupt – einen niedrigeren Schulabschluss. Und wenn dann noch Kinder kommen, werden auch die wieder in Armut leben. Wie erlebt ein Kind die Armut? Ein Beispiel: Die kleine Christa ist vier Jahre alt. Sie hat mehrere Geschwister. Ihre Mutter ist alleinerziehend. Eins der Kinder hat eine Behinderung. Der Vater der Kinder hat die Familie verlassen. Von ihm bekommt die Familie keine Unterstützung. Die Familie lebt von Hartz IV. Christa wächst in Armut auf. Die kleine Christa hat Zahnschmerzen. Sie kann ihr Essen nicht mehr kauen. Diagnose: Alle Milchzähne sind entzündet und müssen gezogen werden. Das Problem: Weder die Krankenkasse noch das Sozialamt wollen diese Behandlung vollständig bezahlen. Die Mutter soll mehrere hundert Euro zuzahlen. Das kann sich die Mutter nicht leisten. Sie muss dem Leiden ihrer kleinen Tochter verzweifelt zusehen. Armut tut weh – körperlich und seelisch. Das Beispiel habe ich mir nicht ausgedacht. Christa lebt mitten unter uns – hier in Böfingen. Nur ihren Namen habe ich geändert. Wie erklären Sie einer Mutter, dass eines der reichsten Länder der Erde kein Geld dafür hat, einem vierjährigen Kind Schmerzen zu ersparen und die Teilhabe an normaler Ernährung zu ermöglichen? Wie soll eine Mutter das verstehen? Wie soll ein Mensch das verstehen? Was ist zu tun? Wir könnten nun sagen: Da können wir kleinen Leute gar nichts machen. „Die da oben“, die Politiker, die müssen das in Ordnung bringen. Das ist zum einen richtig. Wir dürfen den Staat nicht aus seiner Verantwortung lassen. Zum anderen gibt uns Jesus im heutigen Evangelium aber eine Vorbildfunktion. Als die Jünger mit dem Finger auf einen anderen zeigen, gibt Jesus ihnen mit drastischen Worten zu verstehen: Schaut auf euer eigenes Verhalten. Ihr, die ihr mir nachfolgt, schaut auf das was ihr selbst tut und sagt. Darauf kommt es an! Damit stehen auch wir, die wir auf Christi Namen getauft sind, in einer Vorbildfunktion. Zum Glück überfordert uns Jesus aber auch nicht. Jede Kleinigkeit zählt, wie das Glas Wasser im Evangelium, das in Christi Namen gereicht wird. Wie kann das konkret aussehen? Zunächst sollte sich jede und jeder von uns fragen: Welche Haltung habe ich, wenn ich Armut begegne? Lasse ich zu, dass mir in jedem Armen Christus begegnet, oder schaue ich herablassend oder angewidert weg? Wie denke ich über Mitschüler, die keine Markenkleidung tragen; die nicht das neueste oder sogar gar kein Smartphone haben?

Wir können uns auch aktiv einbringen. Ich nenne ein paar Beispiele, was heute schon in unserer Seelsorgeeinheit getan wird:

  • Eines unserer Gemeindemitglieder hilft Flüchtlingskindern bei den Hausaufgaben und lässt sie so an Bildung teilhaben.
  • In unserer Schwestergemeinde in Jungingen gibt es den Kinderchor „Jungspatzen“: Arme und reiche Kinder singen miteinander und bekommen kostenlos eine musikalische Bildung.
  • Unsere Gemeinde ermöglicht Kindern aus armen Familien die Teilnahme am KjG-Zeltlager.
  • In Jungingen gibt es den Teekessel, einen Jugendtreff.
  • Bei der Erstkommunion erhalten alle Kinder ihr Gewand von der Gemeinde gestellt. Keine Familie wird mit dem Kauf eines Kommunionanzugs oder Kommunionkleids finanziell überfordert. Vergleichbares gilt für die Taufe.

Was könnten wir als Gemeinde aber noch besser machen? Zwei Beispiele:

  • Eine Familie, die von Hartz IV lebt, bekommt für ein Schulkind 3,80 EUR pro Tag für Essen und Trinken. Für alle Mahlzeiten eines Tages: 3,80 EUR. Bei unseren Gemeindefesten kostet ein Mittagessen um die 6 EUR. Das ist preiswert, aber für eine arme Familie schlichtweg nicht bezahlbar. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir allen Menschen, die in Armut leben, die Teilnahme an unseren Gemeindefesten ermöglichen können. Das betrifft auch Menschen in Altersarmut!
  • Kinder aus armen Familien haben meist nur über den katholischen Kindergarten Kontakt zur Kirche. Wenn sie katholisch sind vielleicht auch noch bei der Erstkommunion. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir diesen Kindern eine bessere Beheimatung in der Kirche bieten können. Wie können wir es schaffen, dass sie und ihre Familien uns besser kennenlernen und unsere Angebote nutzen?

Was viele von uns auch noch tun können, ist natürlich: Geld spenden. Das legt uns der Jakobusbrief heute ja wieder besonders ans Herz. Vielleicht bedenken Sie bei Ihrer nächsten Spende nicht nur die großen, internationalen Organisationen. Sondern auch einmal die, die sich direkt bei uns in Ulm engagieren. Ich habe hinten eine Liste von drei Organisationen ausgelegt, die sich hier in Ulm ganz besonders um Kinder und Jugendliche kümmern. Eine weitere Hilfe kann sein, Familien aktiv zu begleiten. Die Caritas sucht dringend Familienbegleiterinnen und -begleiter. Im nächsten Gemeindebrief erfahren Sie dazu mehr. Ach ja, wie ging es nun mit der kleinen Christa weiter? Als eines unserer Gemeindemitglieder von Christa gehört hat, hat es sein Portemonnaie geöffnet und einen Teil des Geldes gespendet, das für die Behandlung von Christa notwendig ist. Dafür sage ich hier ein herzliches: Vergelt‘s Gott! Den Rest haben wir aus der Caritaskasse unserer Gemeinde bezahlt. Die kleine Christa konnte an der Uniklinik endlich behandelt werden. Wir haben damit ein kleines Licht in den dunklen Alltag der Familie getragen. Am Ende jeder Messe entsendet uns unser Pfarrer, um den Frieden in die Welt zu bringen. Lasst uns alle darüber nachdenken, wohin jede und jeder von uns ein kleines Licht tragen könnte. Jedes kleine Licht zählt. Nicht nur heute, aber ganz besonders heute am Caritas-Sonntag.

Markus Lubert