Am 11. September 2022
EVANGELIUM: Lukas 15,01-10
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, ich möchte heute über zwei zusammenhängende Vorstellungen sprechen, an denen vieles richtig ist. Wenn man aber falsche Schlüsse zieht oder falsch betont, wirds schräg und gefährlich!
Die erste der beiden Vorstellungen treffen wir im heutigen Evangelium bei den Pharisäern an: Sie können nicht verstehen, dass Jesus sich als rechtgläubiger Israelit mit Sündern abgibt. Im orthodoxen Judentum dreht sich ja noch heute alles um das Thema „rein“ sein, nicht „unrein“ werden. Die Vorstellung war, wenn ich mich mit Sündern abgebe, springt das sozusagen über und ich werde selbst unrein. Aber dadurch werden die einen zu den Guten und die andern zu den Bösen. Da kommt eine Trennung ins Spiel. Und natürlich gehört man selbst irgendwie immer zu den Guten! Nein, ich bin doch kein Sünder oder Übeltäter! Ich tue doch nichts Falsches! Aber, aber Verbrecher, die sollte man bestrafen. Höchststrafe! Es ist das Schwarz-Weiß, unter Ausklammerung der eigenen Schuld! Merken Sie wie diese Vorstellung nicht nur von den Pharisäern im Evangelium vertreten wird, sondern auch unsere ganze heutige Gesellschaft durchdringt: Die vielen Shitstorms im Internet, wenn nur einer vermeintlich irgendetwas falsch gemacht hat. Die vielen Lagerbildungen, bei gesellschaftliche Themen, in der Politik, auch in der Kirchenpolitik - wenn die Zwischentöne abhanden kommen und keine echte Begegnung mehr möglich scheint. Die Lesungen von heute zeigen, dass auch das Volk Gottes voller Sünder ist. Und keine kleinen Sünden: Die Israeliten haben ein goldenes Kalb gefertigt. Sie haben die Wundertaten in Ägypten miterlebt und trotzdem wenden sie sich jetzt von Gott ab. Und Paulus, gegen Ende seines Lebens, da bekennt ganz deutlich: Ich bin der Erste der Sünder, also der Größte. Ja, das Blut des ersten Märtyrers Stephanus klebte an seinen Händen und auch sonst hatte er in seinem Leben wohl dunkle Bereiche. Unser Glauben bekennt, dass alle Sünder sind. Sie und ich! Und dass wir es ohne Gott nicht schaffen. Nur Gott wäscht die Sünde ab, er wäscht uns weißer als Schnee, so Psalm 51! Sie sehen, es ist nicht falsch wie die Pharisäer die Sünde anderer Personen zu sehen, aber man darf dabei nie die eigene Schuld und die eigene Angewiesenheit auf Gott aus dem Blick verlieren. Kommen wir nun zur nächsten Vorstellung, die unmittelbar an das Erkennen eigener Schuld anknüpft. Mit dieser habe ich zu Beginn meines eigenen geistlichen Wegs selber zu kämpfen gehabt. Es ist die Vorstellung, dass ich Gott nicht nahen kann, nicht nahen darf, weil ich dem Anspruch nicht genüge, den Gott an mich hat. Mein eigenes Handeln reicht nicht. Ich kann Gott nicht zufriedenstellen. Ich kann nicht beten, weil ich unrein bin, weil ich schon wieder was falsch gemacht habe. Mit viel Glück wird Gott so gnädig sein, dass er mich mal ins Himmelreich reinlässt, aber die letzte, unterste Wolke. Dieser negative Blick auf sich selbst und diese Unterschätzung der Barmherzigkeit Gottes tötet jedes Gebetsleben, jeden spirituellen Fortschritt! Wir begegnen in den heutigen Texten keinem einseitigen, sondern einem vielschichtigen Gott. Beim „goldenem Kalb“ hören wir, dass Gott nicht mit der Sünde kooperiert, wie schlecht Gott und die Sünde zusammenpassen, wie stark der Drang in Gott ist, Sünde zu richten, also Ungerechtigkeit zu bekämpfen und Gerechtigkeit wiederherzustellen. Und das Er trotzdem Mitleid hat, Er barmherzig und großzügig ist. Und in Jesus Christus wird diese Gnade, diese Barmherzigkeit, diese Großzügigkeit sogar noch deutlicher. Gott sucht sogar die Nähe der Sünder. In geradezu paradoxer Weise. In den heutigen Gleichnissen lässt der Hirte 99 Schafe in der Wüste zurück, nur um sich um das eine Verlorene zu kümmern. Und dann feiert er ein Fest, dass definitiv mehr kostet, als das ganze Schaf wert war. Und bei der verlorenen Drachme dasselbe. Wenn man weiß, dass eine Drachme eine Kleinstmünze war, wie unsere Centstücke. Da macht es gar keinen Sinn das ganze Haus danach zu durchsuchen. Und dann auch noch alle Freundinnen zusammenzurufen und es weiterzuerzählen. Da wird deutlich, dass da nicht nur Großzügigkeit und gnädige Barmherzigkeit ist. Da ist echte Freude! Wenn man weiterdenkt, erscheint das auch logisch. Feindesliebe, die Zuwendung an gesellschaftlich Isolierte, die nicht sympathisch sind, die nicht zu einem passen, die Fehler machen, die Vergebung von Unrecht - das sind alles Liebestaten, Akte von Hingabe. Das geht nicht ohne ein eigenes Opfer. Wenn Gott wirklich die Liebe ist, kommen diese Akte geradewegs aus Seinem Herzen. Vielleicht kennen Sie die Darstellung von Jesu beim Barmherzigkeitsrosenkranz. Diese weißen und roten Strahlen, die sich aus dem Herzen Jesu ergießen. So stelle ich mir das bildlich vor. Im Herzen Gottes ist Freude, wenn Er uns vergeben kann. Und darum schließt das Evangelium mit der Versicherung: „Wenn wir umkehren, singen die Engel!“ Sie singen, sie jubilieren. Vielleicht tanzen sie auch vor Freude. Am Ende dieser Predigt möchte ich Sie auf die Hl. Gottesmutter Maria hinweisen. In ihr begegnet uns die Mutter der Barmherzigkeit, wie es im „Salve Regina“ heißt. Sie hat ihr ganzes Leben, ihr ganzes Sein, den guten Plänen Jesu untergeordnet, unserem Retter und Befreier. Daher kann Sie uns Vorbild sein für unsere ganz persönliche Nachfolge! Amen.
Diakon Michael Seitz