Am 26. Dezember 2022

zela2022 sw

LESUNG: Apg 7,54-60

Was für eine Zumutung, Schwestern und Brüder. Gestern haben wir noch die Geburt Jesu Christi gefeiert. Das Kind in der Krippe. Die feierlichen Lichter. Weihnachten – das Fest der Liebe. Das Fest der Familie. Der Engel des Herrn, der spricht: „Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude. Heute ist euch der Retter geboren.“ Und was hören wir einen Tag später im Evangelium: „Der Bruder wird den Bruder dem Tod ausliefern und der Vater das Kind. Und Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken.“ Wo ist er – der Retter?

Wo ist dieser Weihnachtsfriede, der mit dem kleinen Kind in der Krippe zu den Menschen gekommen ist? Wo ist es sichtbar, dass die Welt geheilt und gesegnet worden ist in dieser Heiligen Nacht? Wenn wir auf die vergangenen 2000 Jahre schauen, dann haben wir den Eindruck, dass Gewalt und Krieg seit dieser Heiligen Nacht in Betlehem nicht weniger geworden sind, sondern mehr. Und wenn wir uns in der Welt umschauen – in vielen Ländern werden Christen wegen ihres Glaubens verfolgt. Diskriminiert. Getötet. Schauen wir in unsere Kirchen, dann sehen wir oft Märtyrerfiguren. Blutüberströmt, durchbohrt von Pfeilen, gekettet und mit leidenden Gesichtern schauen sie uns an. Sollen das unsere Vorbilder sein? Bedeutet Glauben: Leiden? Nein. Es geht nicht um das Leid. Auch wenn die heutigen Lesungstexte das auf den ersten Blick so erscheinen lassen. Stephanus wird verfolgt und gesteinigt. Der erste Märtyrer. Und Jesus selbst spricht davon, dass wir leiden müssen. Dass wir verfolgt werden. Dass wir gehasst werden. Schaut man die Texte aber genauer an, dann stellt man fest, dass es nicht um das Leiden und das Martyrium geht. Stephanus hat nicht gepredigt, um für Christus zu leiden. Er hat gepredigt, weil er Christus liebte. Er war so von Christus und seiner Botschaft erfüllt, dass er einfach nicht anders konnte, als hinauszugehen und von diesem Jesus Christus zu sprechen. Sein Ziel war nicht das Martyrium, das Leiden. Nein – er hat den Himmel offen gesehen. Und auf Christus geschaut. Ihn hat er vor Augen gehabt. Das Martyrium war die Folge seines Handelns, aber nicht sein Ziel. Auch Jesus geht es im Evangelium nicht um das Leid. Er spricht zwar vom Gericht, vom Auspeitschen und vom Hass, der auf seine Nachfolger kommen wird. Aber auch für Jesus ist das nicht das Ziel. Es geht nicht darum, zu leiden. Sondern es geht darum, ihn, Jesus, zu lieben. Wenn wir auf unsere Kinder schauen, dann wird es offensichtlich: Was würden wir nicht alles auf uns nehmen für unsere Kinder? Was würden wir nicht alles für sie ertragen? Auf die Liebe kommt es an. Die Liebe zu sich selbst, zu den anderen – und zu Gott. Und das bedeutet nicht in erster Linie Opfer zu bringen und zu leiden. Auch unsere Kinder sind uns nicht geschenkt worden, damit wir für sie Opfer bringen. Wer in Liebe lebt, der genießt das Leben so, wie es sich ihm zeigt. Der freut sich an der schönen Welt, an den Menschen, die ihn umgeben und an allem, was ihm geschenkt ist. Wer in Liebe lebt, der lebt in Fülle – egal, ob arm oder reich. Der sieht den Himmel offen. Der lebt in Christus. Jesus fordert von uns also nicht das Leid zu suchen – je mehr Leid, desto besser. Er fordert uns auf, in unserer Liebe für ihn standhaft zu bleiben. So wie wir für unsere Kinder standhaft bleiben würden. Er fordert uns auf, Zeugnis für ihn abzulegen. Und uns in diesem Zeugnis nicht beirren zu lassen. Zeuge für Jesus zu sein – das heißt nicht: Ich habe die Geburt des Herrn mitgefeiert und Freude gehabt. Weihnachten. Zeuge sein heißt vielmehr: Ich LEBE das, was ich gestern gefeiert habe. Ich lebe so, dass an meinem Lebensstil, an meinem Umgang mit den Mitmenschen, deutlich wird: Jesus Christus ist der Herr meines Lebens. Das, was wir gestern an Weihnachten gefeiert haben – das muss sich heute im Alltag bewähren. Hier wird sich zeigen: Sind wir bereit, den Weg von Bethlehem nach Golgota mitzugehen? Den Weg mitzugehen von der Krippe zum Kreuz? Und so ist Weihnachten die Herausforderung an uns, Zeugnis abzulegen von der Menschwerdung – und der Menschlichkeit dessen, der unser aller Bruder geworden ist. Auch wenn die Welt um uns herum im Chaos ist: Da wo wir an unseren Mitmenschen diakonisch handeln, Brüder und Schwestern. Wo wir das Evangelium Christi verkünden, auch wenn sich die meisten Menschen die Ohren zuhalten. Wo wir Menschen zur Umkehr und zu einem Leben in Fülle verhelfen – da zeigt sich die Rettung, die mit dem kleinen Kind in Betlehem in die Welt gekommen ist. Da zeigt sich unsere Liebe – zu dem der uns liebt. Da lassen wir das Licht durch uns hindurch scheinen, das in Betlehem allen Menschen erschienen ist. Da machen wir den Unterschied. Vielleicht kennen Sie die folgende Geschichte: Es war einmal ein alter Mann. Jeden Morgen lief er am Meer entlang. Eines Tages sah er ein kleines Mädchen, das emsig am Strand umherlief, etwas aufhob und ins Meer warf. Als der Mann näher kam, fragte er das Mädchen: „Guten Morgen, was machst Du da?“ Das Mädchen richtete sich auf und sprach: „Ich werfe die Seesterne, die durch die Flut an Land gespült wurden, ins Meer zurück. Es ist Ebbe und die Sonne brennt. Wenn ich es nicht tue, dann sterben sie.“ Verwundert sah der alte Mann sie an. „Ist Dir denn nicht klar, dass der Strand hier meilenweit ist? Es liegen überall Seesterne. Du kannst sie unmöglich alle retten. Was hat es da für eine Bedeutung, ob du die paar zurück ins Wasser wirfst?“ Da hob das Mädchen einen weiteren Seestern auf, lächelte und sprach: „Für diesen einen bedeutet es alles.“ Um im Bild zu bleiben: Wir können nicht alle Seesterne retten, Brüder und Schwestern. Aber ist nicht jeder einzelne es wert, dass wir uns bemühen? Auch wenn sich die Welt um uns herum die Ohren zuhält?

Diakon Markus Lubert