Kickt die Kirche aus dem Koma! Das verlangt die Theologin und Journalistin Jacqueline Straub. Am 7. Februar spricht sie dazu im Saal der Wengenkirche. Kickt die Kirche aus dem Koma? Ich frage mich: Sind wir im Koma? Dann wären wir nicht hier, sondern auf der Intensivstation, sediert, beatmet, künstlich ernährt. Sind wir im Koma? Kann der Komapatient Katholische Kirche in Böfingen zwei Kindergärten betreiben, in denen 140 Kinder betreut werden? Kann der Komapatient Kirche als Sternsinger verkleidet durch die Straßen ziehen oder als Nikolaus? Kann ein Komapatient an Pfingsten ein Zeltlager für Kinder und Jugendliche veranstalten und im Herbst eine Ministrantenfreizeit? Kann ein Komapatient am Heiligen Abend beim Krippenspiel dafür sorgen, dass die Kirche brechend voll ist? Kann ein Komapatient Kinder taufen, Brautpaare verheiraten, Tote begraben, Gottesdienste feiern an jedem Sonntag und an jedem Feiertag? Unsere Kirche wird derzeit scharf kritisiert. Kritiker verlangen: Die Kirche braucht endlich demokratische Leitungsstrukturen, nicht einsame Entscheidungen, durch den Pfarrer, durch den Bischof, durch den Papst, sondern Mitbestimmung für alle. Wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart haben sie bereits seit 50 Jahren. Seit 1970 haben wir eine eigene Kirchengemeindeordnung. Die gibt es so nur bei uns. Bei uns entscheidet nicht der Bischof allein, sondern der Bischof zusammen mit dem Diözesanrat. Der ist demokratisch gewählt. Bei uns entscheidet nicht der Pfarrer allein, sondern der Kirchengemeinderat. Der ist demokratisch gewählt. Alles, was für das Leben der Gemeinde von Bedeutung ist, muss im Kirchengemeinderat beraten und beschlossen werden. Im Kirchengemeinderat hat auch der Pfarrer nur eine Stimme. Das ist Demokratie und eine große Chance. Gewählte Frauen und Männer entscheiden, was in der Gemeinde gilt. Sie dürfen das und sie können das. Warum? Weil sie in der Taufe und in der Firmung den Heiligen Geist empfangen haben. Gottes Geist, Heiliger Geist, frischer Wind. Er weht, wo er will und wie er will. Gottes Geist, er schenkt jedem und jeder besondere Gaben, Talente, Charismen. Das Zusammenspiel dieser Begabungen baut die Kirche auf. Im Zusammenspiel dieser Talente werden Entscheidungen getroffen, gute Entscheidungen. Mitbestimmung aller, Demokratie, wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart haben sie bereits. Dafür dürfen wir dankbar sein. Die Chance, die uns damit gegeben ist, wir sollten sie nutzen, zum Beispiel dadurch, dass wir zur Wahl gehen oder uns sogar als Kandidierende für den neuen Kirchengemeinderat zur Verfügung stellen. Mitbestimmung aller, Demokratie, dazu gehört, dass die Menschenrechte von allen geachtet werden, die Grundrechte. Zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung. Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, auch in der Kirche. Das gilt auch für Benedikt XVI., Papst im Ruhestand, Joseph Ratzinger. Er darf öffentlich seine Meinung sagen. Er sagt: Priester sollten nicht verheiratet sein. Der Zölibat muss bleiben. Diese Meinung kann man teilen. Diese Meinung kann man kritisieren und man kann hinzufügen: Benedikt ist vom Amt des Papstes zurückgetreten. Was er jetzt sagt, ist seine persönliche Meinung, aber nicht die verbindliche Weisung des Kirchenoberhaupts. Man kann auch sagen: Vielleicht wäre es klüger gewesen, wenn er nichts gesagt hätte. Was aber gar nicht geht: Dem emeritierten Papst ein Redeverbot erteilen. Das ist meine Meinung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht. Menschenrechte, Demokratie, Mitbestimmung aller, wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart sind da weiter als andere. Gewählte Frauen und Männer entscheiden im Kirchengemeinderat, was gilt. Über dieses politische Geschäft hinaus ist der Kirchengemeinderat eine Gemeinschaft, in der wir das Leben und den Glauben miteinander teilen. Vor und nach den Sitzungen ist immer Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Gemeinschaft erleben und pflegen, Gemeinschaft miteinander und mit Gott, das ist uns wichtig. Dafür nehmen wir uns Zeit. Wir freuen uns, dass bisherige Kirchengemeinderäte wieder kandidieren. Wir freuen uns auch auf neue Gesichter. Wie war noch gleich unser Jahresthema? Lasst frischen Wind rein!
Pfr. Dr. Bernhard Lackner